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Carlos Collado Seidel

Der Spanische Bürgerkrieg

Geschichte eines
europäischen Konflikts

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Vor nunmehr weit über 70 Jahren nahm die Tragödie des Spanischen Bürgerkriegs ihren Anfang. War Spanien ein militärisches Übungsfeld der Achsenmächte? Wollte die Sowjetunion hier ihren ersten Satellitenstaat errichten? War der Einsatz der deutschen Legion Condor kriegsentscheidend? Handelte es sich um einen Religionskrieg, oder um einen Krieg gegen den Faschismus? Das vorliegende Buch führt in die wichtigsten Aspekte des Krieges ein, schildert die internationale Dimension des Konfliktes, erläutert die innerspanischen Zusammenhänge, den ideologischen Unterbau und zeigt die für die spanische Gesellschaft über Jahrzehnte währenden Folgen des Krieges.

Über den Autor

Carlos Collado Seidel lehrt als Privatdozent Neuere Geschichte an der Universität Marburg.

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Hans und Barbara Neubert

Inhalt

Einleitung

 

1. Konflikte und Gewalt in einer zerrissenen Gesellschaft

2. Ein Putsch wird zum Krieg

3. Hitlers und Mussolinis Militärhilfe für Franco

4. Sowjetische Waffen für den Abwehrkampf der Republik

5. Die europäische Diplomatie und die Begrenzung eines Brandherdes

6. Ideologie und Krieg

7. Repression, Exil und Erinnerung

 

Nachwort zur 2. Auflage

Abkürzungsverzeichnis

Zeittafel

Auswahlliteratur

Einleitung

Der Spanische Bürgerkrieg (1936–1939) ist ohne jeden Zweifel eines der großen Themen der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, eingebettet in die Epoche der Krise der Demokratien der Zwischenkriegszeit, die, aus der historischen Distanz betrachtet, unvermeidbar in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs geführt zu haben scheint. Schriftsteller von Weltrang wie George Orwell (Mein Katalonien), André Malraux (Die Hoffnung) oder Ernest Hemingway (Wem die Stunde schlägt) haben die Ereignisse in Spanien literarisch verarbeitet und damit nachdrückliche Zeugnisse der Tragödie geschaffen. Picassos Guernica, ein Bild, das für den Pavillon der spanischen Republik auf der Pariser Weltausstellung von 1937 konzipiert wurde, ist zum Inbegriff für das Leid geworden, das von diesem Krieg ausging. Das durch Fliegerstaffeln der deutschen Luftwaffe zerstörte kleine baskische Städtchen mahnt als Erinnerungsort an die deutsche Mitverantwortung an diesem Krieg.

Der Spanische Bürgerkrieg wird häufig als erste bewaffnete Auseinandersetzung zwischen «Faschismus» und «Antifaschismus» betrachtet. Eine auf die Ideologien bezogene Interpretation des Bürgerkrieges gewinnt zusätzlich an Gewicht, wenn die massive militärische Intervention Italiens, Deutschlands und der Sowjetunion in Betracht gezogen wird. So verstanden die meisten Zeitgenossen den Konflikt als Auseinandersetzung zwischen Ideologien, mit der nicht nur das Schicksal Spaniens, sondern darüber hinaus das der zivilisierten Menschheit auf dem Spiel stand. Die einen wähnten Demokratie, Fortschritt und Freiheit in Gefahr, während es für die anderen um die Abwehr der bolschewistischen Bedrohung und die Errettung des christlichen Abendlandes ging. Im Spanischen Bürgerkrieg verschärften sich damit Konflikte, die in anderen Ländern Europas vielfach noch mit politischen Mitteln ausgetragen worden waren. Erstmals kam es zu einer offenen militärischen Auseinandersetzung.

Der Spanische Bürgerkrieg war aber nicht nur ein Spiegel der ideologischen Auseinandersetzungen in Europa, und die Haltung der europäischen Mächte hat nicht nur den Kriegsausgang maßgeblich beeinflusst; er war ein entscheidender Faktor, der zu der späteren Frontstellung im Zweiten Weltkrieg führte. Zum einen suchte Frankreich angesichts der bedrohlichen Expansionsambitionen Hitlers und aus einem Gefühl der eigenen militärischen Schwäche heraus eine enge politische Tuchfühlung mit Großbritannien, und zum anderen fanden die sich zunächst argwöhnisch beäugenden Diktaturen in Italien und Deutschland über eine Kooperation in Spanien zur Bildung der «Achse Berlin-Rom» zusammen. Zudem erwies sich mit der deutschen und italienischen Intervention in Spanien die Hoffnung Londons als Trugschluss, zu einem grundsätzlichen Interessenausgleich vor allem mit Berlin und Rom zu gelangen, während die passive Haltung der westlichen Demokratien gegenüber den Achsenmächten diese in ihrer aggressiven Expansionspolitik bestärkt hat. Das Gesicht Europas hat sich zwischen Juli 1936 und April 1939 grundlegend gewandelt.

Gleichzeitig ist der Spanische Bürgerkrieg aber ein zentraler Bestandteil der neueren spanischen Geschichte und eingebettet in ein soziales und politisches Umfeld zu verstehen, das sich genuin aus der spanischen Geschichte ergibt. Hierzu gehörten in einem agrarisch und durch Großgrundbesitz geprägten Land die immer brennender artikulierte soziale Frage der Landarbeiterschaft sowie die Forderung nach politischer Partizipation größerer Bevölkerungskreise, die im Grunde erst mit der Errichtung der Zweiten Republik möglich werden sollte. Zu diesen politischen Konflikten tritt ein aggressiver Antiklerikalismus als Symptom der Auflehnung gegen die etablierte Ordnung, die sich in Spanien in einer besonders ausgeprägten Kohärenz von Staat, soziopolitischen Herrschaftseliten und Amtskirche manifestiert hatte. Somit ist der Spanische Bürgerkrieg zu Recht als ausgesprochener Klassenkonflikt interpretiert worden. In ihm kommen aber auch weit in die Geschichte zurückreichende innerspanische Nationalitätenkonflikte zum Tragen. So entstanden in Katalonien und im Baskenland, den industrialisierten peripheren Regionen des Landes, immer stärkere regionalistische Tendenzen, die sich gegen den Madrider Zentralismus richteten. Andererseits wird der Putschversuch, der zum Spanischen Bürgerkrieg führte, aber auch als die letzte der spanischen Militärerhebungen interpretiert, die die Geschichte Spaniens seit den napoleonischen Befreiungskriegen geprägt haben, indem ein politisiertes Offizierskorps sich legitimiert fühlte, als Korrektiv in die Politik einzugreifen, um im Jahr 1936 die als staatszersetzend wahrgenommene demokratisch-republikanische Ordnung zu beseitigen. Insgesamt haben wir es dabei aber im Wesentlichen mit Konfliktfeldern zu tun, die auch anderswo in Europa im Rahmen der Entstehung einer bürgerlichen Gesellschaft bestanden haben. Allerdings lässt sich in Spanien angesichts einer bis weit in das 20. Jahrhundert hinein weitgehend statischen Gesellschaft, in der sich liberale bürgerliche Ideale und sozialreformerische Ansätze im Grunde bis zur Ausrufung der Republik im Jahr 1931 nicht durchzusetzen vermochten, eine deutliche Phasenverschiebung erkennen, eine Verkrustung politischer Strukturen ohne die Fähigkeit, soziale Konflikte zu entschärfen.

Seit Jahrzehnten weckt der Spanische Bürgerkrieg in aller Welt Emotionen. Die Erregung über diese Zeit hat nicht nur nicht nachgelassen, sondern erreichte innerhalb der spanischen Öffentlichkeit nach 70 Jahren eine neue Dimension. Wie auch in Deutschland erst lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine intensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Herrschaft einsetzte, so hat in Spanien die Tabuisierung öffentlicher Debatten über Täter und Opfer des Krieges, die nach Francos Tod im November 1975 im Verlauf des Demokratisierungsprozesses die Aufarbeitung der Tragödie verhinderte, bis heute nachgewirkt. Die wissenschaftliche Forschung hat sich zwar seit langem intensiv und grundlegend mit dem Bürgerkrieg befasst, aber erst in den letzten Jahren sind eine Vielzahl von Büchern erschienen, die sich als Erinnerungsliteratur verstehen und in der Darstellung von Einzelschicksalen Leid und Brutalität des Krieges beschreiben. Unter großer medialer Beteiligung wird nun auch die Öffnung ungezählter Massengräber betrieben, deren Existenz verdrängt worden war. Die spanische Gesellschaft wird gegenwärtig von einer gewaltigen emotionsgeladenen Welle der Erinnerung an die größte menschliche Tragödie der spanischen Geschichte erfasst.

Das vorliegende Buch versteht sich als eine Einführungs- und Überblicksdarstellung auf der Grundlage der aktuellen Forschungsergebnisse. Dabei sollen sowohl die internationale Dimension als auch innenpolitische Ursachen und Konstellationen sowie ideologische Aspekte Berücksichtigung finden. Nachdem die Zeit zwischen 1931 und 1939 aus guten Gründen immer stärker als eine historische Einheit wahrgenommen wird, ist die knappe Beleuchtung der Grundkennzeichen der spanischen Gesellschaft sowie der Grundzüge der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in der Zeit vor 1936 notwendig. In einem zweiten Abschnitt wird erläutert, wie und warum die Militärerhebung scheiterte und wie je nach Erfolg oder Misserfolg des Putsches in den verschiedenen Garnisonsstädten zwei Kriegslager mit klar definierten Herrschaftsgebieten entstanden. Da aber beide Kriegsparteien zur Führung eines Krieges auf ausländische Waffenlieferungen angewiesen waren, sollen in den drei folgenden Kapiteln nicht nur der Verlauf des Krieges und die Entwicklung der beiden Lager, sondern vor allem auch die kriegsentscheidende Haltung der europäischen Mächte analysiert werden. Aufgrund der gewaltigen ideologischen Aufladung des Konfliktes muss insbesondere im Hinblick auf die beträchtliche Heterogenität der Kräfte innerhalb der Kriegsparteien auch ein Blick auf die Prozesse geworfen werden, die zur Entstehung zweier ideologischer Lager führten. Schließlich soll in einem Ausblick auf die bis in die Gegenwart reichenden Folgen des Krieges hingewiesen werden. Oft gestellte Fragen werden nach der Lektüre des Bandes beantwortet sein: War der Spanische Bürgerkrieg das erste Kapitel des Zweiten Weltkriegs? War der Einsatz der Legion Condor kriegsentscheidend? War der Bürgerkrieg ein Religionskrieg? War das Franco-Regime eine faschistische Diktatur? Karten, Kurzbiographien der wichtigsten Personen und eine Zeittafel erleichtern den Überblick. Ausgewählte Literatur führt ein in eine vertiefte Beschäftigung mit einzelnen Aspekten des Bürgerkrieges.

Abschließend noch ein Wort zu den verwendeten Begriffen. So wird zur Bezeichnung der Aufständischen neben dem Begriff «Putschisten» für die Phase der Institutionalisierung des Regimes insbesondere auf den aus der Zeit stammenden Begriff «Nationalisten» und, um das immer stärker auf die Person des Diktators zugeschnittene Regime zu charakterisieren, für die Endphase des Krieges auch auf die Bezeichnung «Franquisten» zurückgegriffen. Diese Begriffe können etwas missverständlich sein, zumal sich regionalistische Kräfte des Baskenlandes und Kataloniens auch als nationalistisch verstanden, doch sie haben sich in der Forschung etabliert. Besondere Probleme bietet eine Sammelbezeichnung für die Koalition der Kräfte im Lager der Republik, nachdem hier nicht nur linke Gruppierungen wie Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten, sondern darüber hinaus bürgerlich-republikanische und sogar eine konservativkatholische baskische Partei vertreten waren. Obwohl einige der in dieser Koalition enthaltenen revolutionären Kräfte dezidiert gegen die republikanische Ordnung kämpften, wird wie in der Literatur üblich auf den Begriff «republikanisches Lager» oder «Republik» zurückgegriffen.

1. Konflikte und Gewalt in einer zerrissenen Gesellschaft

Die Analyse der Ursachen dieses mit äußerster Brutalität geführten Bürgerkriegs erfordert einen vertieften Blick auf die Bedingungen des Modernisierungsprozesses innerhalb der spanischen Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Veränderungs- und Liberalisierungsprozesse des 19. Jahrhunderts, die in Spanien später als in anderen Staaten Europas einsetzten, führten hier zu keiner bedeutenden Schwächung jener Gesellschaftsschichten, die im Ancien Régime eine hegemoniale Position innegehabt hatten. Die Schwächung der politischen Macht im Rahmen liberal-revolutionärer Prozesse ging nicht einher mit einer Minderung der ökonomischen Besitzverhältnisse oder einer Schmälerung der gesellschaftlichen Bedeutung. Im Jahr 1930 verfügte der Großgrundbesitz über etwa ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche, während dessen Anteil, an der Zahl der Betriebe gemessen, lediglich 0,1 Prozent ausmachte.

Vergleichbar den Ereignissen, die im übrigen Europa dem Revolutionsjahr von 1848 folgten, führten in Spanien revolutionäre Vorgänge im Jahr 1873 zur Ausrufung der Ersten Republik, doch die Angst des liberalen Bürgertums vor den revolutionären Massen brachte auch das Ende der reformorientierten Bestrebungen. Mit der Wiedereinführung der Monarchie unter Alfons XII. (1874–1885) begann die sogenannte Etappe der Restauration, in der im Gegensatz zu der Entwicklung in anderen europäischen Nationen dieser Zeit keine Modernisierung der Gesellschaft einsetzte. In dem politischen System der Restauration spiegelten sich vielmehr weiterhin die traditionellen sozialen Machtverhältnisse innerhalb des Landes. Zwei politische Parteien, die sich wenig voneinander unterschieden, beide vom aristokratisch dominierten Großgrundbesitz getragen und beide für die Monarchie engagiert, wechselten sich in einem regelmäßigen Turnus einvernehmlich und unabhängig von tatsächlichen Wahlergebnissen in der Regierungsausübung ab. Das Bürgertum (ganz zu schweigen von der Arbeiterschaft) fand sich im politischen System der Restauration in einem kaum nennenswerten Umfang vertreten. Das Wahlsystem, das zu einer überproportionalen Repräsentanz der ländlichen Regionen führte, sowie die paternalistischen Abhängigkeitsstrukturen auf dem Land, die eine massive Wahlbeeinflussung durch die Großgrundbesitzer ermöglichten, boten keinen Raum für legale politische Betätigungen außerhalb dieses abgeschlossenen Parteiensystems, an dem nur eine kleine Minderheit teilhatte. Somit lag neben der sozialen und wirtschaftlichen auch die politische Macht in den Händen einer kleinen Gruppe, die im Wesentlichen die Interessen des Adels und der großbürgerlichen Familien vertrat. Auf diese Weise war in Spanien bis zur Ausrufung der Zweiten Republik (1931–1936/39) kein politisches Repräsentationssystem ähnlich dem in Frankreich oder England entstanden, das den Veränderungen innerhalb der Gesellschaft Rechnung getragen hätte und das flexibel genug gewesen wäre, um die neuen gesellschaftlichen Kräfte politisch zuzulassen und zu integrieren.

Wenngleich Analogien zu der gesellschaftlichen Machtverteilung in den ostelbischen Provinzen Preußens gezogen werden können, müssen für den borussischen Staat in dieser Zeit ein rapide zunehmender Industrialisierungsgrad und damit wachsend die zunehmende Bedeutung des Bürgertums festgestellt werden. Im Vergleich zu der rasanten Industrialisierung in anderen westeuropäischen Staaten lässt sich für Spanien als besonderes Kennzeichen ein Beharren auf traditionellen Wirtschaftsformen sowie eine ausgesprochene Zurückhaltung gegenüber einem ökonomischen Denken erkennen. Ein wichtiger Faktor für dieses Innovationen ablehnende Klima war die feudalistische Einstellung der traditionellen Eliten gegenüber Gewerbetätigkeit und Arbeitsleistung. Im Jahr 1898 schrieb ein deutscher Adeliger aus dem Hause Ungern-Sternberg: «Der spanische Adel ist ausschließlich ein Hofadel, und hält es nicht für nothwendig, activ in’s Staatsleben einzugreifen. Nur falls es ihm an Geldmitteln gebricht, versucht er durch Empfehlungen irgend einen lucrativen Posten zu erhalten, und wenn er einen solchen erhält, so sieht er es beinahe als eine Schande und Entwürdigung an. Denn das muss jeder, der Spanien einigermaßen kennt, zugeben, dass die Arbeit als solche dort etwas gesellschaftlich entwürdigendes an sich hat, und dass das Nichtstun, der Genuss irgend einer Rente oder Pfründe das größte Ansehen verleiht» (Deutsches Handelsblatt, 25/1898). Wenn auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Veränderungsprozesse einsetzten und der Adel nach dem Ende der Feudalherrschaft gezwungen war, kapitalistische Wirtschaftsformen anzunehmen und gewinnorientiert zu denken, hinkte dieser Prozess der Entwicklung in anderen europäischen Ländern deutlich hinterher. So war nicht nur bis weit in das 20. Jahrhundert hinein die althergebrachte traditionelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Dominanz einer weitgehend statischen und auf Pfründen basierenden gesellschaftlichen Elite erhalten geblieben. Dieses Selbstverständnis des Adels wurde anders als in Deutschland auch von den aufstrebenden Finanz- und Industrieeliten verinnerlicht. Das Großbürgertum fühlte sich der aristokratischen Lebenswelt zugehörig, eine Haltung, die zudem in einer massiven Nobilitierungswelle während der Restaurationszeit und verstärkten Eheschließungen zwischen Adel und Besitzbürgertum zum Ausdruck kommt.

Nach der Überzeugung des Soziologen Santos Juliá hatte dieser Prozess der «Adelung» des Bürgertums weitreichende Folgen für die spanische Gesellschaft, da auf diese Weise das Bürgertum jene gesellschaftliche Führungsrolle abgab, die ihm aufgrund der Modernisierungs- und Industrialisierungsprozesse zukam, und darüber hinaus diese Prozesse durch die Festschreibung eines althergebrachten Systems schwächte (Juliá, Historia económica, 30f.). Die in diesem gesellschaftlichen Milieu vorherrschenden Wertvorstellungen nähren sich im Wesentlichen aus der Lehre der katholischen Kirche, der Institution der Monarchie und dem ihr innewohnenden hierarchischen Prinzip, der Überzeugung von der Familie als Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung sowie einem ausgeprägten Patriotismus. Nach diesem Selbstverständnis kann es auch nicht verwundern, dass die gesellschaftlichen Eliten nicht nur die Forderungen nach politischer Partizipation und Verbesserung der sozialen Lage breiter Bevölkerungsschichten grundsätzlich ablehnten, sondern auch keinerlei Bedarf an Reformen des politischen Systems erkannten, um die Massen an das System zu binden. Allein die Repression schien das geeignete Mittel zu sein, um sozialen und politischen Forderungen unterer Bevölkerungsschichten zu begegnen. Eine Egalisierung der sozialen Schichten stellte nach diesem Selbstverständnis im Grunde nichts anderes als einen Frevel gegenüber der göttlich gewollten Ordnung auf Erden dar.

So zeigt sich für die Epoche der Restauration in Spanien eine deutliche Dichotomie zwischen dem Fortbestand einer aus dem Ancien Régime herübergeretteten Gesellschaftsstruktur und den gesellschaftlichen Entwicklungen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert; eine Situation, die bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges keine grundlegende Veränderung erfahren sollte. Wie der Historiker González Cuevas schreibt, war das Weltbild der gesellschaftlich dominierenden Schicht ausgesprochen statisch, und sie war unfähig, die soziale Realität in Spanien zu erkennen und jene Kräfte einzuschätzen, die mit dem Sturz der Monarchie im Jahr 1931 auf eine völlige Neugründung der politischen Ordnung abzielten (González Cuevas, Historia de las derechas, 247ff.).

Die soziale Lage barg eine gewaltige Sprengkraft angesichts von unproduktiven Wirtschaftsweisen, etwa in Gestalt enormer brachliegender landwirtschaftlicher Flächen, und eines seit Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden überproportionalen Bevölkerungswachstums, das zu Verelendungserscheinungen, vor allem bei den von der Landwirtschaft abhängigen Arbeitskräften, führte. In der Restaurationszeit kam es zu Hungerrevolten, die durch den Einsatz der Guardia Civil oder des Militärs meist blutig niedergeschlagen wurden. Diese Konflikte erhielten gegen Ende des 19. Jahrhunderts allerdings einen immer stärker organisierten und politischen Charakter. Unter den Landarbeitern Andalusiens verbreiteten sich insbesondere der Anarchismus und als organisierte Sonderform der Anarchosyndikalismus der Confederación Nacional del Trabajo (CNT). Nachdem die beginnende Industrialisierung ähnliche soziale Probleme mit sich brachte wie bereits in anderen europäischen Staaten, gewannen in den neu entstehenden industriellen Ballungszentren, vor allem im textilproduzierenden Gewerbe in Katalonien, dem Kohlebergbau in Asturien, dem Eisenhüttenwesen und der metallverarbeitenden Industrie im Baskenland, ebenfalls Sozialrevolutionäre und radikal-reformerische Ideen an Boden, und die Reihen der 1879 gegründeten sozialistischen Partei Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und ihrer gewerkschaftlichen Organisation Unión General de Trabajadores (UGT) erfuhren neben der CNT starken Zulauf.

Der Verlust der letzten überseeischen Kolonien nach der Niederlage Spaniens im Krieg gegen die USA im Jahr 1898 erschütterte nachhaltig das politische System der Restauration und hatte traumatisierende Folgen, nachdem damit eine mühevoll aufrechterhaltene imperiale Fassade in sich zusammenbrach. Hinzu kamen wachsende soziale Spannungen. In den Industrie- und Ballungsgebieten, vor allem in Katalonien, kam es zu Streiks und Attentaten mit anarchistischem Hintergrund. Der Ruf nach Erneuerung wurde zum Programm nicht nur der Arbeiterschaft, sondern erfasste auch reformorientierte Kräfte aus den bürgerlichen Schichten und dem Militär. Die Krise vertiefte sich infolge des Ersten Weltkriegs weiter. Spanien blieb neutral, und das dadurch verstärkte Wirtschaftswachstum führte zu einer Verschiebung der Machtgewichte innerhalb der ökonomischen Eliten des Landes und auch zu einem Aufschwung im Selbstbewusstsein des Bürgertums. Vor diesem Hintergrund kam es Mitte 1917 zu einem Vorstoß bürgerlicher Schichten, insbesondere in Katalonien, das politische System zu reformieren.

Gerade in Katalonien lebten aber auch regionalistische Tendenzen auf. Der wirtschaftliche Erfolg bescherte nicht nur den bürgerlichen Schichten Wohlstand, sondern brachte auch eine aus dem neuen Selbstbewusstsein resultierende Rückbesinnung auf die regionalen Wurzeln. Dies zeigte sich zunächst im Aufblühen von Dichtung und Literatur in katalanischer Sprache, artikulierte sich rasch aber auch politisch, indem die Wiedereinführung früherer katalanischer Sonderrechte und Institutionen zum Programm erhoben wurde. Bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die bürgerliche Lliga Regionalista de Catalunya zur dominierenden Partei in Katalonien. Mit der Zeit griff der Katalanismus aber auch auf andere Gesellschaftsschichten über, die sich vor allem in der Esquerra Republicana unter der Führung von Francesc Macià sammelten, so dass bis 1931 von einer breiten regionalistischen Bewegung gesprochen werden kann. Katalonien begriff sich als Nation und trat damit in Gegensatz zu dem in Madrid formulierten gesamtstaatlichen Anspruch.

Das Baskenland erlebte ebenfalls einen starken wirtschaftlichen Aufschwung, aber der baskische Nationalismus basierte anders als in Katalonien nicht auf dem Selbstbewusstsein des aufstrebenden Bürgertums. Hier kam vielmehr ein ethnisch begründeter Abgrenzungswille zum Tragen. Die Ende des 19. Jahrhunderts in Gestalt der baskischen nationalistischen Partei PNV politisch artikulierte nationalkulturelle Bewegung war eine im Kern antimoderne Bewegung. Dies hing damit zusammen, dass die baskische Industrialisierung durch kastilische, aber auch durch baskische, an Madrid orientierte Unternehmer vorangetrieben wurde und sie einen starken Zuzug von Arbeitskräften aus anderen Regionen Spaniens zur Folge hatte. Der baskische Nationalismus ist daher zunächst als eine Abwehrreaktion gegen die Folgen der Industrialisierung zu verstehen. Die erst im Laufe des 19. Jahrhunderts verloren gegangenen Sonderrechte sollten nicht nur wiederhergestellt werden, das Baskenland sollte darüber hinaus von fremden, nichtbaskischen Einflüssen befreit werden. Damit blieb der baskische Nationalismus zunächst eine Erscheinung der ruralen und kleinbürgerlichen Gegenden, der vor allem durch den niederen Klerus unterstützt und verbreitet wurde.

Die Reformbestrebungen des Bürgertums fielen mit den Forderungen der organisierten Arbeiterschaft nach politischer Partizipation und sozialen Reformen zusammen. Als nun UGT und die anarchosyndikalistische CNT es im wirtschaftlich turbulenten Jahr 1917 durch Streiks auf eine Kraftprobe ankommen ließen, zeigte sich rasch, dass die besitzenden Schichten nicht nur nicht bereit waren, den Forderungen der Arbeiterschaft nachzugeben; aus Angst um die Besitzstände bei einer weiteren Destabilisierung des Systems gab das Bürgertum den Versuch auf, politische Reformen durchzusetzen. Die daraus resultierende Kluft zwischen dem besitzenden Bürgertum in Allianz mit den Großgrundbesitzern auf der einen Seite und der Arbeiterschaft auf der anderen erreichte damit einen ersten Höhepunkt. Die blutige Niederschlagung von Aufständen – so ereigneten sich in den Folgejahren vor allem im anarchistisch dominierten Süden wiederholt Streiks und Landbesetzungen – unterdrückte zwar punktuell die Protestbewegungen, war aber kaum dazu geeignet, das Problem zu bewältigen. Vielmehr vertieften sich die Ressentiments gegen und der Hass auf das bestehende System. Die Industrieregionen wurden zudem durch eine tiefe Krise erschüttert, da das Ende des Ersten Weltkrieges dazu geführt hatte, dass Absatzmärkte im Ausland verschwanden. Die Folge waren Massenentlassungen und Lohnkürzungen. Streiks wurden mit Aussperrungen und Gewalt beantwortet, so dass sich auch die Radikalisierung der städtischen Arbeiterschaft verstärkte. Insbesondere Barcelona erlebte eine Welle terroristischer Attentate anarchistischer Provenienz.

Die Labilität des politischen Systems war nach außen hin deutlich sichtbar, da sich in einer raschen Folge die Regierungen und ihre Versuche abwechselten, der inneren Krisen Herr zu werden. Das Zweiparteiensystem der Restauration zerfiel zudem in eine Vielzahl von Parteien zur Vertretung unterschiedlichster Interessen. Der König griff seinerseits, auch im Hinblick auf die Belange des Militärs, immer stärker in die Regierungsarbeit ein. Das Militär wiederum war zu diesem Zeitpunkt nicht nur wegen innerer Spannungen alarmiert. Die Streitkräfte wurden der Lage in Marokko nicht Herr, wo seit Jahren ein Kolonialkrieg tobte, was zu wachsenden Spannungen zwischen Heeresführung und Zivilverwaltung führte. Hinzu kamen Spannungen innerhalb der Armee, nachdem sich die auf der Iberischen Halbinsel stationierten Einheiten im Vergleich zu der Beförderungspraxis bei der Afrikaarmee beruflich benachteiligt fühlten. Darüber hinaus wurden Forderungen artikuliert, die eine Verbesserung der ihrem Selbstwertgefühl nicht angemessenen Besoldung betrafen. In einer direkten Kraftprobe mit der zivilen Regierung, die nicht zuletzt aufgrund der sozialen Unruhen keine Konfrontation riskieren wollte, ging das Militär als Sieger hervor. Damit zeigte sich, dass das Militär de facto eine autonome Machtposition neben der Regierung des Landes innehatte und, wie sich auch in den Folgejahren erweisen sollte, gewillt war, diese zur Geltung zu bringen. Das Militär, das seit Beginn des Jahrhunderts eine immer stärkere soziopolitische Rolle eingenommen und auch dank der Patronage durch Alfons XIII. eine Privilegierung erfahren hatte, wurde damit zu einem entscheidenden Machtfaktor innerhalb des Systems. Die Kette der demütigenden Niederlagen der spanischen Streitkräfte bei ihren krampfhaften Versuchen, die rebellischen Stämme der Rifkabylen zu befrieden, die im Jahr 1921 mit der vernichtenden Niederlage eines spanischen Expeditionsheeres bei Annual ihren Höhepunkt fand, führte zu einer weiteren das Land erschütternden Krise. Während das Kolonialheer in Marokko eine Fortführung des Krieges verlangte und die Öffentlichkeit sich kriegsmüde zeigte, entbrannte auf politischer Ebene ein nicht endender Streit um Verantwortlichkeiten für die militärische Niederlage von Annual und über die Fortsetzung des Krieges.

Angesichts der innenpolitischen Krisen und der eskalierenden Gewalt erwies sich das System der Restauration schließlich als handlungsunfähig. Der oberkommandierende General für die Militärregion Katalonien, Miguel Primo de Rivera, übernahm im September 1923 durch einen von König Alfons XIII. tolerierten Staatsstreich die Regierungsgewalt und entmachtete das Parlament. General Primo de Rivera hatte in Barcelona nicht nur den anarchistischen Terror als Bedrohung für die nationale Ordnung und die Interessen der katalanischen Unternehmer wahrgenommen. Als Spross einer Familie von Großgrundbesitzern in Andalusien hatte er auch die Aufstände der Landarbeiter zu spüren bekommen. Mit der Ablösung des parlamentarischen Systems trat nun ein Diktator an die Spitze der Regierung, der mit dem erklärten Ziel antrat, Spanien von Berufspolitikern zu befreien und das Staatswesen mittels eines autoritären Regimes auf eine neue Grundlage zu stellen. Spanien stand damit vor einer Militärdiktatur, wie sie auch Kennzeichen vieler ost- und südosteuropäischer Staaten der Zwischenkriegszeit war. Das Militär machte sich zum Interpreten der nationalen Interessen des Landes.

Mit der Diktatur Primo de Riveras kommt es für einige Jahre zu einer deutlichen Reduzierung der sozialen Spannungen. Mit Ausnahme der Anarchisten, die weiterhin die Zerstörung von Staat und Kapitalismus anstrebten, sowie der kleinen kommunistischen Partei erhofften sich alle politischen und sozialen Gruppierungen positive Impulse. Primo de Rivera als Speerspitze einer «nationalen und patriotischen Revolution von oben» verstand sich als Erneuerer Spaniens. Unter Primo de Rivera übernahm der Staat eine verstärkte Lenkungsfunktion in sozialen und wirtschaftlichen Belangen. Und in der Tat erreichte Primo de Rivera die Lösung einiger der brennenden Probleme. So wurden zwar die anarchistischen Organisationen verboten, stattdessen aber wurde die sozialistische Gewerkschaft UGT in das System integriert und übernahm die Vertretung der Interessen der Arbeiterschaft. Die Sozialisten erhofften sich durch diese pragmatische Haltung die Überwindung der Unterentwicklung der sozialen Strukturen des Landes und eine spürbare Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft durch Lohnerhöhungen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Durch die Kooperationsbereitschaft der Sozialisten nahmen die sozialen Auseinandersetzungen deutlich ab. Die Wirtschaftsleistung und das Volkseinkommen wiederum wuchsen. Ein breit angelegtes Infrastrukturprogramm, das vor allem auf die Verbesserung der Verkehrswege setzte, sollte zudem strukturelle Defizite beseitigen. 1926 gelang durch eine militärische Großoffensive schließlich auch die Zerschlagung des Widerstandes in Nordmarokko.

Bald zeigten sich jedoch eine Reihe von Problemen, die sich innerhalb der verkrusteten Gesellschaftsstrukturen als unüberwindliche Hindernisse erweisen sollten. Da Primo de Rivera die Einführung paritätisch besetzter Tarifparteien zur Regelung von Fragen der Entlohnung und Arbeitsbedingungen anstrebte, brachte er bald die Großgrundbesitzer und Industriellen gegen sich auf. Auch andere Bereiche des öffentlichen Lebens, das er neu zu regeln versuchte, brachten ihm trotz einer anfänglichen Euphorie immer weitere Feindschaften innerhalb der Führungseliten ein. Das Militär sperrte sich gegen eine Neuordnung des Laufbahn- und Beförderungssystems. Das katalanische Bürgertum wiederum stieß sich an der Ablehnung des Regionalismus. Das Bürgertum litt bald unter der Entwertung der Pesete, die auf das kostspielige Programm zur Verbesserung der Infrastruktur des Landes zurückgeführt wurde, und mit Zunahme der Finanz- und Wirtschaftsprobleme in Folge der internationalen Finanzkrise distanzierten sich auch Unternehmer und Gewerkschaften vom Diktator. Der Versuch der Institutionalisierung eines autoritären korporativen Staates, wie er sich in Portugal oder Österreich entwickeln sollte, scheiterte schließlich 1929 nach breiter Ablehnung eines durch Primo de Rivera vorgelegten Verfassungsentwurfes. Die traditionellen Machteliten sahen im Diktator nicht mehr den Vertreter ihrer Interessen, und Regionalisten und Arbeiterschaft waren enttäuscht über den fehlenden Willen zu grundlegenden sozialen Strukturreformen. Angesichts des Verlustes an Rückhalt durch die Eliten des Landes, auch des Militärs, trat Primo de Rivera im Januar 1930 schließlich zurück und ging ins französische Exil.

Nun aber brachen wieder die alten sozialen Konflikte auf, und es radikalisierten sich erneut die politischen Auseinandersetzungen im Land. Auf der einen Seite standen reaktionär eingestellte traditionelle Eliten, die eine rücksichtslose Diktatur in ihrem Sinn als einzig gangbaren Weg ansahen. Auf der anderen Seite wurde der Ruf nach grundlegenden sozialen Reformen bis hin zur Revolution wieder laut. Der vom König eingesetzten Regierung unter General Dámaso Berenguer gelang es nicht, die sich zuspitzende Lage unter Kontrolle zu bringen und eine Rückkehr zum System der Restauration zu bahnen. In San Sebastián formierte sich im Sommer 1930 eine ernstzunehmende reformorientierte und republikanische Front. In der Folge der Kommunalwahlen vom 12. April 1931, die als Plebiszit über die Staatsform und die soziale Ordnung verstanden wurden, kam es schließlich zum Kollaps des Systems. Zwar hatten auf dem Land aufgrund der dort noch weitgehend unangetasteten althergebrachten Sozialstrukturen die besitzenden Schichten einen Wahlsieg errungen, die Sozialisten und das liberale Bürgertum waren jedoch in den meisten Städten als stärkste Gruppierung hervorgegangen. In der Absicht, eine weitere politische Eskalation und eine Machtübernahme radikaler Arbeiterorganisationen zu vermeiden, sowie angesichts einer allgemeinen Orientierungslosigkeit entzogen das Establishment und vor allem die Streitkräfte dem König das Vertrauen. Alfons XIII. ging am 14. April 1931 ins Exil. Die Zweite Republik wurde ausgerufen.

Mit einer gespannten Erwartungshaltung stand Spanien vor einer letztlich völlig unerwartet entstandenen Situation. Vor allem die Rechte befand sich dabei zunächst in einer Phase der Desorientierung, nachdem das Modell einer Militärdiktatur und selbst die Institution der Monarchie gescheitert und bis zu einem gewissen Grad diskreditiert waren. Die Republik wurde von den gesellschaftlich dominierenden Schichten allerdings als Bedrohung wahrgenommen, wie etwa eine massive Kapitalflucht ins Ausland bezeugt (Viñas et al., Política comercial, I, 55). Demgegenüber wurden bei der Arbeiterschaft und dem Kleinbürgertum gewaltige Hoffnungen geweckt. Die Parteien, die sich im Jahr zuvor im «Pakt von San Sebastián» zusammengefunden hatten, standen für die Einleitung grundlegender Strukturreformen bereit. Zum Chef der provisorischen Regierung wurde zunächst Niceto Alcalá Zamora gewählt, ein Großgrundbesitzer aus dem andalusischen Córdoba, der bereits unter Alfons XIII. ein Ministeramt innegehabt hatte. Das wichtige Innenressort fiel wiederum an Miguel Maura, den Sohn des einflussreichen konservativen Politikers Antonio Maura. Beide Politiker vertraten katholisch-konservative Positionen und boten somit dem Establishment immerhin eine gewisse Gewähr dafür, dass die Republik keinen radikalen Bruch mit der Vergangenheit herbeiführen würde. Die Sozialisten zeigten sich darüber hinaus gemäßigt. Die Forderung nach Abschaffung der Guardia Civil als Symbol der Repression gegen die Arbeiterschaft wurde fallen gelassen, und die provisorische Regierung unterband auch Übergriffe gegen Einrichtungen, die wie der Königspalast das verhasste monarchistische Regime versinnbildlichten.

Bei den Parlamentswahlen Ende Juni 1931 errangen die Sozialisten und linksrepublikanische Parteien, die wiederum heterogene Gruppierungen aus dem bürgerlichen Mittelstand umfassten, einen überwältigenden Sieg. Das schlechte Abschneiden der konservativen und reaktionären Parteien ist dabei einerseits auf das Wahlsystem und andererseits auf die noch nicht erfolgte Bündelung ihrer Kräfte zurückzuführen. Um eine Zersplitterung der Nationalversammlung zu vermeiden und mit Blick auf die negativen Folgen, die Zeitgenossen dem Modell von Weimar aufgrund der instabilen Mehrheitsverhältnisse zuschrieben, war das Wahlsystem so gestaltet worden, dass Wahlbündnisse bei der Sitzverteilung massive Vorteile erhielten. Auf diese Weise sollten starke parlamentarische Mehrheiten entstehen. Die Sitzverteilung erfolgte nach Provinzen, und diejenige Partei oder Wählervereinigung, die in der jeweiligen Provinz die Mehrheit erhielt und über vierzig Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, bekam automatisch achtzig Prozent der für diese Provinz vorgesehenen Parlamentssitze. Der zweitstärksten Gruppierung wiederum wurden die restlichen zwanzig Prozent zugesprochen. So konnten also nur wenige Stimmen Unterschied bei Wahlen gewaltige Verschiebungen in der Sitzverteilung hervorrufen.

Durch das Wahlergebnis war die Macht von der kleinen besitzenden Oberschicht an bürgerlich-liberale Mittelschichten und eine gemäßigte sozialistische Partei übergegangen. Trotz divergierender Vorstellungen nahm diese Koalition unter dem neuen Ministerpräsidenten Manuel Azaña eine grundlegende Reform der überkommenen politischen Strukturen in Angriff. Dazu zählten insbesondere eine Militärreform mit dem Ziel, die Armee zu professionalisieren und politische Ambitionen des Offizierskorps zu unterbinden, die Verwirklichung der strikten Trennung von Staat und Kirche, um auf diese Weise das Religiöse aus dem öffentlichen Leben zu verbannen, eine Bodenreform, um die Produktivität im Agrarsektor zu erhöhen und den Forderungen nach Umverteilungen nachzukommen, und die Absicht, den Forderungen nach Selbstverwaltung in den historischen Regionen zu entsprechen. Zur Verwirklichung einer modernen bürgerlich-demokratischen Gesellschaftsordnung gehörte auch ein geändertes Verständnis der gesellschaftlichen Rolle der Frau. Frauenwahlrecht, politische Betätigung sowie aktive Teilnahme von Frauen am öffentlichen Leben und in der Berufswelt gehörten dazu. Schließlich sollte auch die Vermittlung von Kultur und Bildung zum Katalysator für den gesellschaftlichen Wandel werden. Die Palette der Reformvorhaben, die in einer neuen Verfassung verankert werden sollten, war somit umfassend und richtete sich klar gegen die Interessen und Wertvorstellungen der althergebrachten sozialen, ökonomischen und politischen Machtträger. Es war unschwer vorauszuahnen, dass sich diese die Kontrolle über Staat und Gesellschaft nicht so einfach nehmen lassen und eine derart grundlegende Umgestaltung des Staatswesens nicht hinnehmen würden.

Das Vorhaben, eine strikte Trennung von Staat und Kirche herbeizuführen, sollte sich als außerordentlich konfliktreich erweisen. Das lag im Wesentlichen daran, dass die katholische Kirche in Spanien seit Jahrhunderten und bis zum Sturz der Monarchie im Jahr 1931 nahezu ununterbrochen eine privilegierte Position innegehabt und ihre Lehren das öffentliche und private Leben maßgeblich bestimmt hatten. So wirkte sie disziplinierend und konnte, etwa durch die Kontrolle über das Erziehungswesen, auch lenkend auf gesellschaftliche Prozesse einwirken. Der katholischen Konfession war ganz offiziell der Rang einer Staatsreligion zugekommen. Die neue republikanische Verfassung verbannte nun die Ausübung der Religion in konsequenter Weise in die private Sphäre und eliminierte die Stütze, die sich Staat und Kirche gegenseitig geboten hatten. Sie entzog dem Klerus und den Orden jegliche finanzielle staatliche Unterstützung. Zudem wurde der Jesuitenorden verboten und sein Vermögen eingezogen, da er sich mit dem Gehorsamsgelübde dem Papst gegenüber einer ausländischen Macht unterwarf. Allen anderen Orden wurde eine Vielzahl von Einschränkungen auferlegt. So durften sie sich weder gewerblich betätigen noch Vermögen anhäufen. Vor allem aber wurde ihnen die Kompetenz entzogen, Schulen zu betreiben. Die Regierungskoalition war der Überzeugung, dass gerade Religion und Kirche ein Hindernis zur freien Entfaltung und Modernisierung der Nation waren und daher deren gesellschaftlich-öffentlicher Einfluss unterbunden werden müsse.

Manuel Azaña wurde 1880 in Alcalá de Henares bei Madrid geboren. Nach einem Jurastudium arbeitete er zunächst im Justizministerium. In den 1920er Jahren trat er durch publizistische Aktivitäten hervor, agitierte als begabter Redner gegen die Diktatur von Primo de Rivera und trat für eine republikanische Staatsordnung ein. Als Vorsitzender des Intellektuellenklubs Ateneo war er eine der zentralen Persönlichkeiten des Madrider Kulturlebens. Er war Mitglied der republikanischen Opposition, die 1930 den «Pakt von San Sebastián» unterzeichnete. Azaña übernahm 1931 zunächst das Amt des Kriegsministers innerhalb der provisorischen Regierung unter Niceto Alcalá Zamora und später das des Ministerpräsidenten. Unter seiner Federführung wurden eine Militärreform und die Trennung von Staat und Kirche vorangetrieben. Er wurde im Zusammenhang mit den Aufständen in Barcelona im Oktober 1934 kurzzeitig inhaftiert. Nach den Wahlen vom Februar 1936 wurde er erneut zum Ministerpräsidenten und nach dem Rücktritt Alcalá Zamoras zum Staatspräsidenten gewählt. Er trat als eine der wenigen Persönlichkeiten hervor, die sich noch im Krieg für eine Aussöhnung der Kriegsparteien aussprachen. Nach seiner Flucht nach Frankreich trat er Ende Februar 1939 vom Amt des Staatspräsidenten zurück. Er starb 1940 im französischen Exil.

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