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1
Sabine Doering, Erläuterungen und Dokumente. Heinrich von Kleist. Die Marquise von O… , Stuttgart 2004, S. 10.
2
Dirk Grathoff, »Die Marquise von O… . Drei Annäherungsversuche an eine komplexe Textstruktur«, in: Interpretationen. Erzählungen und Novellen des 19. Jahrhunderts. Bd. 1, Stuttgart 1988, S. 97–131, hier: S. 106.
3
Thomas Nehrlich, »Es hat mehr Sinn und Deutung, als du glaubst.« Zu Funktion und Bedeutung typographischer Textmerkmale in Kleists Prosa, Hildesheim / Zürich /
New York 2012, S. 156.
4
Hugo Aust, Novelle, Stuttgart 42006, S. 10.
5
Heinrich von Kleist / Adam H. Müller (Hrsg.), Phöbus. Ein Journal für die Kunst, 2 (1808).
6
Michael Moering, Witz und Ironie in der Prosa Heinrich von Kleists, München 1972, S. 234 f.
7
Doering (siehe Anm. 1), S. 38.
8
Eberhard Siebert, »Zu Herkunft der Zeitungsanzeige in Kleists ›Marquise von O…‹«, in: Heilbronner Kleist-Studien, Bd. 6 (2011), S. 144.
9
Karl Lenz, »Romantische Liebe – Ende eines Beziehungsideals?«, in: Liebe am Ende des 20. Jahrhunderts. Studien zur Soziologie intimer Beziehungen, hrsg. von Kornelia Hahn / Günter Burkart, Opladen 1998, S. 68 f.
10
Christine Künzel, Vergewaltigungslektüren. Zur Codierung sexueller Gewalt in Literatur und Recht, Frankfurt a. M. / New York 2003, S. 34.
11
Gesa Dane, »Zeter und Mordio«. Vergewaltigung in Literatur und Recht, Göttingen 2005, S. 39.
12
Künzel (siehe Anm. 10), S. 48.
13
Dane (siehe Anm. 11), S. 218.
14
Dorrit Cohn, »Kleist’s »Marquise von O…: The problem of knowledge«, in: Monatshefte 67 (1975) No. 1, S. 132 f.; Heinz Politzer, »Der Fall der Frau Marquise. Beobachtungen zu Kleists Die Marquise von O…«, in: Heinrich von Kleist
Die Marquise von O…, mit Materialien und Bildern aus
dem Film von E´ric Rohmer, hrsg. von Werner Berthel, Frankfurt a. M. 1979, S. 114.
15
Seán Allan, »›… Auf einen Lasterhaften war ich gefasst, aber auf keinen – – – Teufel‹: Heinrich von Kleists Die Marquise von O…«, in: German Life and Letters 50 (1997) H. 3, S. 315.
16
Dora Stock am 11. April 1808, in: Doering (siehe Anm. 1), S. 59 f.
17
Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe in 4 Bänden, hrsg. von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns, Hinrich C. Seeba, Bd. 3: Erzählungen, Anekdoten, Gedichte, Schriften, hrsg. von K. M.-S., Frank-
furt a. M. 1990, S. 414.
18
Lenz (siehe Anm. 9), S. 69.
19
Müller-Salget (siehe Anm. 17), S. 782.
20
Klaus Müller-Salget, Heinrich von Kleist, Stuttgart 22011, S. 18.
21
Jens Bisky, Kleist. Eine Biographie, Berlin 2007, S. 24, 108.
22
Bisky (siehe Anm. 21), S. 375.
23
Müller-Salget (siehe Anm. 20), S. 23, zit. nach: Heinrich
von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, hrsg. von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba, 4 Bde., Frankfurt a. M. 1987–1997, Bd. 4: Briefe
von und an Heinrich von Kleist, 1997, S. 509.
24
Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, hrsg. von Helmut Sembdner, Bd. 2, München 1952, S. 924 f.
25
Peter-André Alt, Aufklärung. Lehrbuch Germanistik, Stuttgart 32007, S. 11–14.
26
Helmut Sembdner (Hrsg.), Heinrich von Kleist. Nachruhm. Eine Wirkungsgeschichte in Dokumenten, 4., erw. Aufl., München 1996, S. 308.
27
Sembdner (siehe Anm. 26), S. 572.
28
Gerhard Fricke, Gefühl und Schicksal bei Heinrich von Kleist. Studien über den inneren Vorgang im Leben und Schaffen des Dichters, Berlin 1929 (Nachdruck Darmstadt 1975).
29
Walter Müller-Seidel, »Die Struktur des Widerspruchs in Kleists Marquise von O…«, in: Heinrich von Kleist. Aufsätze und Essays, hrsg. von W. M.-S., Darmstadt 1967, S. 244–268.
30
Cohn (siehe Anm. 14), S. 129–144; Politzer (siehe Anm. 14), S. 74.
31
Grathoff (siehe Anm. 2), S. 97–131.
32
Jochen Schmidt, Heinrich von Kleist. Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche, Darmstadt 2003, 32011, S. 197–207.
33
Grathoff (siehe Anm. 2); Moering (siehe Anm. 6), S. 233, 238.
34
Jochen Schmidt, »Die Marquise von O…«, in: Interpretationen. Kleists Erzählungen, hrsg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1998, S. 75–77; Müller-Salget (siehe Anm. 20), S. 185.
35
Dane (siehe Anm. 11); Künzel (siehe Anm. 10).
36
Alexander Košenina, »Ratlose Schwestern der Marquise
von O… . Rätselhafte Schwangerschaften in populären Fallgeschichten – von Pitaval bis Spieß«, in: Kleist-Jahrbuch 2006, S. 45–59, hier: S. 51.
37
Heinrich von Kleist, Die Marquise von O…, mit Filmbildern von E´ric Rohmer, München 2011.
38
Juli Zeh, »Ich weiß, wie sich das anfühlt.«, Interview mit Sabine Rückert, in: Die Zeit, Nr. 15 vom 2. April 2020, S. 18.
39
Immanuel Kant, »Was ist Aufklärung?«, in: Berlinische Monatsschrift 12 (1783) S. 481–494.
Autor |
Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist, laut Kirchenbuch und Taufzeugnis am 18. Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder geboren, nach eigener Angabe und laut Grabinschrift jedoch am 10. Oktober. Freiwillig in den Tod gegangen am 21. November 1811 am Kleinen Wannsee. |
Erscheinungsjahr |
1808 Abdruck im 2. Heft der Kulturzeitschrift Phöbus; 1810 im 1. Band der Erzählungen |
Gattung |
Novelle |
Handlung |
1799 während des 2. Koalitionskrieges in Oberitalien |
Erzählaufbau |
Unterteilung in zwei Abschnitte durch eine inhaltliche Zäsur |
Adaptionen |
mehrere Bühnenbearbeitungen und Verfilmungen eine Oper (1959), ein Kammerspiel (1975) ein Fotoroman (2011), eine Graphic Novel (2011) mehrere Lesungen/Hörbücher |
Kleist hat vermutlich während seiner Kriegsgefangenschaft in Frankreich an der Novelle gearbeitet und sie 1807 in Dresden beendet. Im Mittelpunkt steht die verwitwete Marquise von O…, die in rätselhafte und existenzbedrohende Geschehnisse verstrickt wird, deren Ursache sie nicht kennt und um deren Aufklärung sie kämpft.
Das Geschehen spielt 1799 in einer Festung in Oberitalien, die von russischen Truppen angegriffen wird. Der Kommandant der Festung, der Obrist Herr von G…, ist der Vater der Marquise. Auf ihrer Flucht vor dem Feuer, das die russischen Soldaten gelegt haben, fällt die Marquise in die Hände feindlicher Scharfschützen. Ein russischer Offizier, Graf F…, kommt ihr zu Hilfe und schützt sie vor den eigenen Soldaten, die sie bedrohen. Als der Graf sie in einen sicheren Teil der Festung führt, fällt sie in Ohnmacht und er vergeht sich an ihr. Der Graf begibt sich wieder in das Kriegsgefecht und beendet es. Die Soldaten, die die Marquise misshandelt haben, werden zum Tode verurteilt.
In einer Schlacht kommt der Graf angeblich zu Tode. Doch tatsächlich hat er überlebt und taucht unerwartet im Hause des Obristen auf. Eindringlich hält er um die Hand der Marquise an und bringt die Familie in Verlegenheit, da seine überstürzte Werbung gegen alle Konventionen verstößt. Sie einigen sich auf einen Kompromiss, um Bedenkzeit zu gewinnen, und der Graf reist weiter, um seinen Geschäften nachzugehen.
Inzwischen ist die Vergewaltigung nicht ohne Folgen geblieben. Die Marquise ist schwanger. Ihre wiederholte Beteuerung, sie wisse nicht, wie sie in andere Umstände gekommen sei, glauben ihr die Eltern nicht, und der Vater verstößt sie. Sie zieht sich darauf mit ihren zwei Kindern auf ihren Landsitz zurück. In einer Zeitungsannonce macht sie ihre Schwangerschaft öffentlich und fordert den Vater ihres ungeborenen Kindes auf, sich zu melden. Am nächsten Tag erscheint die Antwortannonce des Gesuchten, er werde sich am Dritten des Monats im Hause des Kommandanten einfinden. Die Familie ist inzwischen von der Unschuld ihrer Tochter überzeugt und hat sie wieder aufgenommen.
Zu aller Überraschung erscheint der Graf F… zum angegebenen Zeitpunkt und bekennt sich zu seiner Tat. Die Marquise reagiert zuerst voller Abwehr, stimmt jedoch auf Drängen der Eltern einer formalen Ehe zu. Bei der Taufe des Sohnes macht der Graf ihm ein reiches Geldgeschenk und erklärt in einem Testament die Marquise, die inzwischen Gräfin geworden ist, zur Alleinerbin seines Vermögens. Nach einem Jahr vergibt sie ihm und es findet eine zweite (Liebes-)Heirat statt.
Das Motiv der Vergewaltigung einer ohnmächtigen oder schlafenden Frau ist in der europäischen Literatur und in der zeitgenössischen populären Sensationsliteratur weitverbreitet. Dennoch hat die zeitgenössische Leserschaft ablehnend auf Die Marquise von O… reagiert, weil sie die erotischen Inhalte als unmoralisch empfand.
Die Novelle spielt während des 2. Koalitionskrieges (1799–1802) im Jahr 1799 in SchauplatzOberitalien, das von russischen Truppen besetzt ist. Das Bündnis Österreich, Russland und Großbritannien kämpft gegen Frankreich und befreit schließlich die französisch beherrschten Republiken in Oberitalien und Neapel. Die Abkürzungen der Namen von Städten und Ortschaften lassen sich nicht eindeutig aufschlüsseln, es kommen jeweils verschiedene Städte infrage, wie B… für Brescia, Bergamo oder Bologna oder M… für Mantua, Mailand oder Modena.1
Die verwitwete Marquise von O… lebt mit ihren zwei Töchtern im Hause ihres Vaters, des Obristen von G… . Er ist Kommandant einer Festung bei M…, die er gegen die KriegssituationAngriffe russischer Truppen verteidigt. In einer Nacht erstürmen diese die Zitadelle und legen Feuer im Wohngebäude des Palastes, so dass die Frauen daraus fliehen müssen. Als russische Soldaten die Marquise ergreifen und davonschleppen, kommt ihr ein russischer Offizier, Graf F…, zu Hilfe und rettet sie vor einer drohenden Vergewaltigung. Er führt sie in einen sicheren, nicht brennenden Flügel der Festung, wo sie ohnmächtig niedersinkt. Ihre Frauen eilen herbei, und der Graf kehrt in das Gefecht zurück, ordnet Maßnahmen zur Löschung des Feuers an und beendet den Kampf. Der Kommandant muss sich ergeben. Der General der russischen Truppen lässt die fünf Soldaten, die sich an der Marquise vergehen wollten, erschießen.
Kurz nachdem der Graf das Fort verlassen hat, trifft bei der Familie des Kommandanten die TodesnachrichtNachricht ein, der Graf F… sei in der Schlacht mit feindlichen Truppen getötet worden und sein letzter Ausruf sei gewesen: »Julietta! Diese Kugel rächt dich!« (S. 8) Die Marquise bedauert die Frau, die den gleichen Namen trägt wie sie selbst, kann sie jedoch nicht ausfindig machen, um ihr Beileid auszusprechen. Die Familie des Obristen G… muss die Festung verlassen und zieht in ein Stadthaus ein. Sie kehrt zu einem normalen Leben zurück.
Ganz unerwartet taucht nach einigen Monaten der tot geglaubte Graf F… im Hause des Obristen auf und Heiratsantrag des Grafenhält eindringlich um die Hand der Marquise an. Die Familie ist befremdet über den jungen Offizier, da er gegen alle Konventionen so überstürzt eine ihm unbekannte Frau heiraten will, und kann sein Verhalten nicht verstehen. Der Vater bittet um Bedenkzeit, damit sich der Graf und seine Tochter näher kennenlernen können, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Auch möchte er Erkundigungen über den Grafen einholen, um zu prüfen, ob er ein geeigneter Ehemann ist.
Der Graf, der sich auf einer Geschäftsreise nach Neapel befindet, trifft Maßnahmen, um seine Reise abzubrechen und als Gast im Hause des Kommandanten zu bleiben. Er möchte auf die Zusage der Marquise warten. Beim Abendessen berichtet er von seiner Krankheit infolge der Schussverletzung und seinen fiebrigen Träumen, in denen sich die Erinnerung an ein Geschichte vom SchwanKindheitserlebnis mit der Vorstellung von der Marquise verbanden: Er habe als Junge einen Schwan, namens Thinka, mit Schmutz beworfen, der aber jedes Mal rein aus dem Wasser wiederaufgetaucht sei. Er schließt mit einem Liebesgeständnis an die Marquise.
Da dem Grafen wegen Dienstverweigerung und Ungehorsam eine unehrenhafte Entlassung aus dem Militärdienst droht, wenn er seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, ist die Familie sehr besorgt. Sie Aussicht auf Eheversprechenversprechen ihm, dass die Marquise während seiner Abwesenheit keine andere Verbindung eingehen werde. Sollten die Erkundigungen über ihn positiv ausfallen, würde sie ihm ihr Jawort geben. Diese Zusicherung reicht dem Grafen, und er reist nach Neapel ab.
Mehrere Wochen sind inzwischen vergangen. Die Marquise wird zunehmend kränklich und ihre äußere Gestalt verändert sich. Sie lässt sich von einem Arzt untersuchen, der feststellt, dass sie Schwangerschaftschwanger ist. Sie ist entsetzt und beteuert gegenüber ihrer Mutter, sich keines Fehltritts bewusst zu sein. Mutter und Tochter sind ratlos und finden keine Erklärung dafür, dass die Marquise trotz ihres reinen Gewissens Symptome einer Schwangerschaft zeigt. Sie ziehen daher noch eine Hebamme hinzu, die jedoch die Schwangerschaft bestätigt. Als die Hebamme der Marquise einen unsittlichen Lebenswandel unterstellt, fällt diese in Ohnmacht.
Die Eltern sind empört und glauben nicht an die Unschuld ihrer Tochter. Der Vater Verstoßung aus der Familiefordert sie auf, das Haus zu verlassen, ihre Kinder aber zurückzulassen. Dem widersetzt sich die Marquise und fährt mit ihren beiden Kindern auf ihren Landsitz nach V… . Sie lebt dort zurückgezogen und bereitet sich auf die Geburt des Kindes vor.
Die Marquise weiß nicht, wie die Schwangerschaft zustande gekommen ist, und fühlt sich von ihren Eltern ungerecht behandelt. Sie fasst daher den Entschluss, eine ZeitungsannonceAnzeige in einer Zeitung aufzugeben, in der sie ihre Schwangerschaft bekannt gibt und den Vater ihres ungeborenen Kindes aufruft, sich zu melden. Sie sei bereit, ihn zu heiraten, um ihr uneheliches Kind vor der gesellschaftlichen Ausgrenzung zu schützen.
Graf F… ist inzwischen aus Neapel Rückkehr des Grafen
Antwortannonce
Wahrheitsprüfung
Wiederaufnahme in die Familie
Der Dritte des Monats
Versöhnliches Ende