33 vergessene, verlassene und
unheimliche Orte
Einleitung
Verhaltensregeln für Lost Places
33 LOST & DARK PLACES
1Ruhe sanft in kühler Erde
Der Alte Friedhof
2Der Todt ist ihm das liebste Brodt
Der Freiburger Totentanz
3Zum zweiten Mal verschwunden
Die Ludwigskirche
4Die tödliche Tanzschule
Das Haus zum Walfisch
5Der unheimliche Mönch
Berthold Schwarz
6Das Spukhaus
Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene
7Geschichten aus der Gruft
Das Schwarze Kloster
8Die vergiftete Gräfin
Das Colombi-Schlössle
9Die dunklen Geheimnisse des Obersten
Das Greiffenegg-Schlössle
10Adieu, Donjon!
Die Schlossbergruine
11Vergänglicher Ruhm
Der Bismarckturm
12Gebaut, gestürmt, gesprengt
Die Festung Freiburg
13Schutz, Schimmel und Pilze
Die Bunker im Schlossberg
14Gottverlassen
Die Kirchen St. Elisabeth und St. Barbara
15Das Freiburger Panopticon
Justizvollzugsanstalt Freiburg
16Niemals geht man so ganz
Thomaskirche und Lutherkirche
17Haltlos
Straßenbahnhaltestelle an der Komturbrücke
18Reben, Rätsel und Relikte
Am Augustinerweg
19Ein meuchelnder Metzger?
Das Bischofskreuz
20Nur noch heiße Luft
Die Freiburger Gaskugel
21Das Phantom von Lehen
Joß Fritz und der Bundschuh
22Der Fall Heiner S.
Die Vigelius-Schule
23Endstationen
Bahnhöfe an der Rheintalbahn
24Gemetzel im Hochsommer
Der Lorettoberg
25Hinrichtung auf dem Spielplatz
Der alte Friedhof in Wiehre
26Verkehrte Pläne
Alte Höllentalbahn und ASS
27Mönche, Gespenster, Heilige
Rund um die Kartause
28Eine Quelle des Übersinnlichen?
Das Waldheiligtum St. Ottilien
29In die Grube gefahren
Der Mösleschacht
30Fundamentalismus
Flakstellung am Schönberg
31Nur kurz gezecht
Die Grube Schönberg in St. Georgen
32Wein statt Westwall
Der Sanitätsbunker Opfingen
33Was vom Dorfe übrig blieb …
Der Wippertskircher Hof
Register
Impressum
1Der Alte Friedhof
2Der Freiburger Totentanz
3Die Ludwigskirche
4Das Haus zum Walfisch
5Berthold Schwarz
6Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene
7Das Schwarze Kloster
8Das Colombi-Schlössle
9Das Greiffenegg-Schlössle
10Die Schlossbergruine
11Der Bismarckturm
12Die Festung Freiburg
13Die Bunker im Schlossberg
14Die Kirchen St. Elisabeth und St. Barbara
15Justizvollzugsanstalt Freiburg
16Thomaskirche und Lutherkirche
17Straßenbahnhaltestelle an der Komturbrücke
18Am Augustinerweg
19Das Bischofskreuz
20Die Freiburger Gaskugel
21Joß Fritz und der Bundschuh
22Die Vigelius-Schule
23Bahnhöfe an der Rheintalbahn
24Der Lorettoberg
25Der alte Friedhof in Wiehre
26Alte Höllentalbahn und ASS
27Rund um die Kartause
28Das Waldheiligtum St. Ottilien
29Der Mösleschacht
30Flakstellung am Schönberg
31Die Grube Schönberg in St. Georgen
32Der Sanitätsbunker Opfingen
33Der Wippertskircher Hof
Welches Bild hat man in der Republik von Freiburg? Junge Menschen, vorwiegend Studierende, sitzen an der Dreisam, trinken vegane Smoothies, unterhalten sich über die Nazi-Vergangenheit von Martin Heidegger oder lesen Laurie Penny, bevor sie abends mit dem Fahrrad zurückfahren, um sich in der Flüchtlingshilfe oder einem Projekt zur Aufforstung eines brachliegenden Industriegeländes zu engagieren. Die schon etwas älteren Semester sitzen derweil auf der begrünten Dachterrasse bei einem edlen Markgräfler, unterhalten sich über die Nazi-Vergangenheit von Martin Heidegger oder lesen Adorno, bevor sie abends mit der Straßenbahn in ein Kellertheater, ein Programmkino mit iranischen Untergrundfilmen oder zu einer Diskussion über regenerierbare Energie im Alltag aufbrechen. Alle leben in WGs oder alternativen Wohnprojekten in preisgekrönten klimaneutralen Bauten, sprechen den sanften Tonfall des SC-Trainers Christian Streich und genießen die gefühlt 365 Sonnentage im Jahr.
So oder so ähnlich lauten die Klischees über die Breisgau-Metropole, in denen nicht nur das berühmte Körnchen Wahrheit, sondern auch ein nicht geringes Quantum Neid mitschwingt, sowohl bei Bewunderern als auch Verächtern des Freiburger Lebensgefühls.
Münster, Bächle, Sportklub und Studierende, badische Gelassenheit und ein Hang zum Alternativen sind das eine, aber Freiburg hat, natürlich, auch seine anderen Seiten, hässlichere, schmutzigere, auch dunkle, die aber deshalb nicht weniger faszinierend sein müssen.
Für den Liebhaber klassischer Lost Places, also heruntergekommener Industrieanlagen, stillgelegter Bahnhöfe, leer stehender Hotels oder verlassener Kasernen ist Freiburg nur ein bedingt gutes Suchgebiet, die Stadt ist sehr daran interessiert, solche »Schandflecke« möglichst schnell verschwinden zu lassen und im Gegensatz zu manch anderer Gemeinde oder einem Dörfchen auf dem Land hat man auch die entsprechenden Mittel und Ideen, um längere Brachen zu vermeiden bzw. umzuwandeln – man denke hierbei an die verschiedenen Bahnhofsgelände, auf denen Geschäftszentren oder ganze Stadtviertel neu entstehen. Doch nicht alles kann schnell abgerissen oder renoviert werden, weshalb sich auch in Freiburg der ein oder andere Problemfall wie die Nebenbauten der Komturbrücke, der Bismarckturm oder die Überbleibsel des Bergbaues als typische Vertreter des Verfalls-Charmes präsentieren. Und uns interessieren natürlich auch die verschwundenen Örtlichkeiten, an die oft nur noch versteckte Reste erinnern.
Trotzdem muss man bei manchem aktuellen Lost Place schnell sein, da er in Kürze womöglich nicht mehr vorhanden sein wird – oder in neuem Glanz erstrahlt. Dieses »Risiko« besteht immer, und in letzterem Fall ist das eher begrüßenswert. Vielen der Beispiele aus unserem Buch wird dieses traurige oder glückliche Schicksal allerdings nicht blühen, sind sie doch anderer Natur. Dazu gehören viele Erinnerungsorte an blutige Ereignisse, denn anders als man aufgrund des heutigen friedlichen Images Freiburgs denkt, ist dessen Geschichte geprägt von Kriegen, Belagerungen und Aufständen, die ihre deutlichen Spuren hinterlassen haben. Bischöfe wurden gemeuchelt, ganze Vororte für immer größere Festungsbauten plattgemacht, eine der heftigsten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges wurde hier geschlagen und der Schlossberg mit Bunkern durchzogen.
Schon eher bekannt ist der Ruf Freiburgs als eine Art esoterische Hauptstadt, ein Ort des Okkulten und der Hellseherei. Dafür mögen weniger die Experimente berühmter Schriftsteller wie Karl May, sondern tatsächlich eine gewisse Tradition seit dem 19. Jahrhundert verantwortlich sein, in der sich spiritistische Zirkel, aber im Umfeld der Universität auch skeptische Herangehensweisen bildeten, die schließlich im noch immer existierenden Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene gipfelte, der bekanntesten Forschungseinrichtung übersinnlicher Phänomene. Der mysteriöse Fall Vigelius-Schule zeigt, wie nötig diese Arbeit in Freiburg ist. Denn Spuk ist hier keineswegs selten, nicht nur in modernen Schulbauten, auch im Colombi-Schlössle, um die Kartause und an einigen anderen Orten ist es keineswegs geheuer.
Auch das ist ein für Freiburg typischer Zug: Viel Unheimliches verbindet sich mit Persönlichkeiten. Und so werden eben auch markante Touristenschönheiten wie das Colombi- oder das Greiffenegg-Schlössle zu zweifelhaften Orten mit dunklen Vergangenheiten, in denen gestorbene Gräfinnen und mordende Adlige ihre teils zwielichtigen Rollen spielen. Das gilt auch für Aufstandshelden wie den vermeintlichen Metzger am Bischofskreuz oder Joß Fritz, das Phantom von Lehen. Der ist immerhin gesichert nachzuweisen, wenn er auch nie gefasst wurde. Die Diskussion um den Erfinder des Schießpulvers Berthold Schwarz dagegen ist noch immer explosiv. Und dann ist da noch die Griechin Elena Markos, die eine ganz besondere Ballettschule in Freiburg betrieb …
Auch das katholische Freiburg liefert seine Beiträge, sei es in Form verschwindender Kirchen oder seltsamer Nonnen, von alten Wallfahrtsorten oder wandernden Klöstern, nicht vergessen werden auch die heute zur Stadt gehörenden Dörfer drumherum und eine besondere Rolle spielt der Schönberg mit seinen verschiedenen Geheimnissen. Insgesamt ist die Vielfalt an Lost & Dark Places in einer mittelgroßen Stadt wie Freiburg mit ihrem lieblichen Ambiente doch recht erstaunlich. Nur sind viele von ihnen – und das passt dann wieder bestens – etwas anderer Art.
Jedes Bauwerk und jedes Gebäude erzählt eine Geschichte aus vergangenen Tagen. Dies gilt es zu schützen. Und auch wenn es nicht immer so aussieht, hat jeder Lost Place einen Eigentümer. Dies ist zu respektieren und Zuwiderhandlungen können ernsthafte rechtliche Konsequenzen haben. Betreten Sie keine Gebäude oder Grundstücke unbefugt, zerstören oder beschädigen Sie nichts, öffnen Sie nichts gewaltsam. Sind Fenster oder Türen verschlossen, soll das auch so bleiben. Dieses Buch ist so konzipiert, dass Sie viele der Orte frei oder auf Nachfrage betreten dürfen – eine Möglichkeit, die in Freiburg besonders groß ist – oder, falls dies nicht offiziell erlaubt ist, die Orte auch »mit Abstand« erfahren und genießen können.
Wenn Sie etwas von einem Lost Place mitnehmen, und sei es noch so klein, gilt dies als Diebstahl, denn alle diese Orte haben einen Eigentümer. Daher gilt die Regel: Alles bleibt, wie es ist. Belassen Sie es bei den schönen Einblicken und Fotos, die Sie an solchen Orten machen. Das bedeutet auch: Lassen Sie nichts zurück. Keine Essensreste, keine Kaugummis, keine Zigarettenkippen.
Das bringt uns zum nächsten Punkt: Rauchen ist hier generell verboten. Zollen Sie dem ehrwürdigen Ort Respekt und verzichten Sie für die Zeit, die Sie da sind, auf das Rauchen. Zigarettenkippen brauchen nicht nur 15 Jahre zum Verrotten (sie sollten übrigens ohnehin nirgends achtlos weggeworfen werden), sondern sie können schnell ein verheerendes Feuer verursachen.
Dass Sie nichts hinterlassen sollen, gilt auch für »Kunstwerke« an den Wänden. Lassen Sie Wände und Mauern, wie sie sind. Auch die Menschen nach Ihnen sollen den Ort so erleben können, wie er früher einmal war.
Besonders wichtig: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Das gilt vor allem bei Lost Places. Brüchige Mauern, frühere Keller, herumliegende Überreste oder auch Müll, aber auch natürliche Gegebenheiten (Bodenlöcher, Höhlen) bergen einige Gefahren. Zudem liegen – selbst in einer Stadt – manche der Objekte recht einsam. Deshalb ist es ratsam, immer mindestens zu zweit, besser noch zu dritt einen Lost Place zu besuchen. Da gilt die alte Regel: Ist eine Person verletzt, bleibt die zweite vor Ort und die dritte holt Hilfe. Zudem weiß man nie, wen man vor Ort trifft. Plünderer, Spinner oder Betrunkene sind auch oft rund um Lost Places anzutreffen. Da ist es beruhigender, nicht allein unterwegs zu sein.
Gut zweihundert Jahre lang ließen die Freiburger ihre Toten im Alten Friedhof beerdigen. Heute versprüht das parkähnliche Gelände den morbiden Charme verfallender Grabmale.
Stadtteil Neuburg Ort Karlstr. 39, 79104 Freiburg im Breisgau GPS 48.000741, 7.856963 Anfahrt Bus 27, Haltestelle Hochmeisterstraße; Straßenbahn 4, Haltestelle Tennenbacher Straße
DIE TOTEN BRAUCHEN PLATZ »Der Staub hier, die Seele bei Gott« – die Inschrift verweist zwar auf die »Bewohner« der damit versehenen Gruft, aber so manchem Grabmal auf dem Alten Friedhof ging es mit der Zeit ähnlich und es zerfiel zu Staub. Knapp 3500 oder mehr waren es einmal, derzeit sind noch gut 1200 übrig, davon nicht wenige in bedenklichem Zustand. Schließlich gibt es ja oft niemanden mehr, der sich um die Verstorbenen kümmert, denn seit 1872 ist der Friedhof offiziell aufgegeben worden, passenderweise am Allerseelentag, dem 2. November, hatte die Stadt den Nachfolger eröffnet. Damit endete die fast zweihundertjährige Geschichte dieses Friedhofes, der 1683 hier eingerichtet werden musste, da wiederum sein Vorgänger den Festungsbauten Vaubans zu weichen hatte – und dieser wieder war selbst einst Anfang des 16. Jahrhunderts vom Münster hin zur Nikolauskirche verlegt worden. Tote werden zwar zu Staub, aber sie nehmen eben trotzdem ziemlich viel Platz ein. Gerade deshalb ist es umso erfreulicher, dass der Alte Friedhof überhaupt noch besteht, denn er befindet sich längst in bester Lage, nahe der Innenstadt, auch hier war Baugrund um 1870 schon sehr beliebt. Der Überlieferung nach haben wir den Erhalt dem Barockkünstler Johann Christian Wentzinger zu verdanken. Der wünschte sein nicht unbeträchtliches Vermögen der Stadt Freiburg zu überlassen – aber nur, wenn sein Grab auf immer erhalten bleibe. Nun, es ist erhalten – und mit ihm zum Glück zahlreiche wunderbare, oft durch ihre Bemoosung, Zerbröselung und Verwitterung zusätzlich auch an unseren Verfall gemahnende Zeugnisse der Sepulkralkultur aus der Zeit des Barock über den Klassizismus bis hin ins Biedermeier und die Gründerzeit.
SCHLAFENDE SCHÖNE … »Wer 77 Jahre gearbeitet, bedarf der Ruhe« – wohl wahr, auch wenn es vielleicht nicht gleich die ewige Ruhe sein muss. Der Tod kommt auf diesem Grabstein immerhin in Form eines jugendlichen Engels daher, der die tatsächlich sehr abgearbeitet aussehende Frau abholt. Gerade die Monumente des späten 18. Jahrhunderts erzählen in Reliefs oft ganze Geschichten. So sieht man den Arzt Georg Staravasnig (gestorben 1792) einen Patienten behandeln, der aussieht, als würde er ebenfalls bald seinen Liegeplatz auf dem Friedhof beanspruchen. Ansonsten wandeln sich die Grabmale von der barocken Symbolik mit viel Totenschädeln und Zierrat hin zu den strengeren biedermeierlich-klassizistischen, in denen sich das christliche Dekor zugunsten von abgebrochenen Säulen, leeren Urnen, weinenden Frauen und verlöschenden Fackeln verändert, die Engel wirken eher antik-griechisch als biblisch. Gemahnten die Sprüche vorher an den Tod und die Erlösung, kommt nun sentimentaler das Verlustgefühl und die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft zum Tragen, wie sie ein schlichtes »Auf Wiedersehen!« ausdrückt. Obwohl nicht wenige Berühmtheiten auf dem Alten Friedhof ihren letzten Aufenthalt gefunden haben, ist das meistbesuchte Grab das eines zu Lebzeiten sicher nicht gerade bekannten Mädchens von nur 16 Jahren, Caroline Christine Walter. Da ihr Schwager ihrer Schwester zuliebe jedoch eine spektakuläre Ruhestätte stiftete, ist die schlafende Schöne, dahindrapiert auf ihrem steinernen Bett, mit der Lektüre in der Hand sanft entschlummert, heute ein beliebtes Fotoobjekt. Und nicht nur das: Über das ganze Jahr hinweg wird sie von Unbekannten mit frischen Blumen versorgt. Früher glaubte man hierfür heimliche Liebhaber verantwortlich – aber das Mädchen ist nun seit 1867 tot.
… UND UNSCHÖNE GESCHICHTEN »Mörder!« stand jahrzehntelang auf einem Grabmal, natürlich nicht eingemeißelt, sondern immer wieder von Neuem mit Kreide daraufgeschmiert. Das Verdikt traf Major Johann Heinrich David von Hennenhofer, den die Freiburger als mitverantwortlich am Schicksal des vermeintlichen Thronfolgers Kaspar Hauser sahen. Zwar war Hennenhofer ein reaktionärer Emporkömmling im Dienste Großherzog Ludwigs und nicht unbedingt ein sympathischer Zeitgenosse, an der ohnehin fragwürdigen Intrige des Karlsruher Hofes war er jedoch eher nicht beteiligt. Gleichwohl war die Stadt die ständigen Beschmutzungen des Grabmales irgendwann leid und ließ es abtransportieren – ins Augustinermuseum. Doch nicht als Ausstellungsstück, sondern als Bodenplatte. Beschmiert wurde daraufhin das Nachbargrabmal. Im Zentrum des Friedhofs, vor der Michaelskapelle (siehe Kapitel 2), steht ein monumentales Kreuz, das 1785 hierher versetzt wurde. Das Kruzifix selbst ist eher klassisch, wäre da nicht der am Fuße des Kreuzes lagernde, äußerst gruselig-bizarre Schädel. Er ist mit allerlei Details versehen: Resten von Haaren, einem Augenlid, einer Kröte und vor allem einem metallenen Nagel. Die Sage weiß, dass die junge Frau eines Schmiedes gemeinsam mit dessen Gesellen, ihrem Geliebten, den Handwerker umbrachte, indem sie einen Nagel in sein Gehirn trieben. Die Stelle versteckten sie unter dem Haarschopf des Opfers, sodass ihr Verbrechen unbemerkt blieb. Der Schmied wurde beerdigt, Witwe und Geselle konnten unbehelligt zusammenfinden. Doch als Jahre später eine Umbettung stattfand, stellte der Totengräber zu seinem Erstaunen fest, dass sich der ausgegrabene Schädel bewegte. Im Inneren saß eine Kröte. Beim Aufheben entdeckte er schließlich den Nagel. Das mörderische Pärchen wurde festgenommen und hingerichtet. Die Geschichte ist vermutlich gut ausgedacht, aber die eindringliche barocke Todessymbolik des Schädels verfehlt ihre Wirkung auch heute keineswegs.
»Du bist dahin und kehrest nimmer wieder / Mit dir schwand alle Freud’, all unser Lebensglück.« Wenn Sie auf der Suche nach einem stilvollen Grabspruch (hier der für den 3¼ Jahre alten Albert Biehler, gestorben 1865) sind oder einfach eine Zeitreise durch zwei Jahrhunderte oft ergreifender, manchmal bizarrer Grabstättenlyrik unternehmen wollen, so finden Sie auf der Internetseite der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Alten Friedhofs in Freiburg e. V. sowohl das Verzeichnis des Stadtschreibers Berthold Stoehr von 1904 mit knapp 3500 Inschriften als auch ein aktuelleres Inventar aus den 1980er-Jahren, das die noch vorhandenen 1170 Grabdenkmäler mit Fotoaufnahmen umfasst (Infos: www.alter-friedhof-freiburg.de/inventar).
Mahnend, warnend, aber auch tröstend, so holt der Tod höchstpersönlich die Freiburger früher oder später ab – und zwar alle. Das verspricht der Totentanz an der Michaelskapelle. Er hat allerdings selbst ein bedauernswertes Schicksal.
Stadtteil Neuburg Ort Karlstr. 39, 79104 Freiburg im Breisgau GPS 48.000955, 7.857076 Anfahrt Bus 27, Haltestelle Hochmeisterstraße; Straßenbahn 4, Haltestelle Tennenbacher Straße
FREUND HEIN Hatten unsere Vorfahren ein entspannteres Verhältnis zum Tod? Oder warum sonst hätten sie sich, seit dem Mittelalter, aber insbesondere im Barock, gern mit allerlei drastischen Bildern von grinsenden Skeletten, verwesenden Körpern, Symbolen wie ablaufenden Sanduhren, leicht platzenden Seifenblasen oder faulendem Obst umgeben? Anders als Stillleben mit ihren subtileren Hinweisen sind sogenannte Totentänze wesentlich deutlicher: Der Tod in Form eines Gerippes kommt vorbei und bittet nicht zum Tanz – wie er es im Mittelalter oft noch tat –, sondern reißt sein Opfer unbarmherzig mitten aus dem Leben. Die Bilder, die sich oft auf der Außenseite von Kirchen oder Karnern (Beinhauskapellen) im oder am Friedhof fanden, waren Warnung, Mahnung und Trost zugleich. Selbst wir kennen noch Sprüche wie: »Das letzte Hemd hat keine Taschen.« Der Tod als Gleichmacher war ein Grundthema der Totentänze, die im deutschsprachigen Raum erstmals in unserer Region auftauchten, am Oberrhein und in Oberschwaben, in Basel und Ulm gab es erste Beispiele um etwa 1440. Der Tod ist uns allen gewiss, Jungen und Alten, Reichen und Mächtigen, Armen und Unterdrückten. Nur die Zeit seines Kommens kennt niemand, auch daran erinnert der Totentanz. In Freiburg entstand er spät, aber sinnigerweise auf dem alten Friedhof (siehe Kapitel 1). Die Michaelskapelle war geradezu überfrachtet mit allerlei Todessymbolik, wie sie das Barockzeitalter so liebte, ob das unsere Vorfahren nun wirklich entspannter sahen, mag offenbleiben, vielleicht war es einfach nur ein ähnlicher Grusel, wie er uns heute beim Anblick der Bilder noch befällt, der sie reizte.
DER GEVATTER Die Michaelskapelle wurde erst Jahrzehnte nach der Verlagerung des Friedhofs gebaut, um 1720, 1744 bei der Belagerung der Stadt erlitt sie sogleich schwere Schäden und wurde einige Jahre später bei der Wiedererrichtung erweitert und kurz darauf mit einer Vorhalle versehen. Diese erhielt im Inneren schließlich zum Ende des Jahrhunderts hin, das Barockzeitalter neigte sich bereits dem Ende zu, eine ihrer Funktion angemessene Bemalung: einen Totentanz. Der Maler ist unbekannt, allerlei Vermutungen ranken sich um den Künstler, wobei Simon Göser, der auch für das Hochaltarbild verantwortlich war, unter den Experten am höchsten gehandelt wird. Wer auch immer es war, er schuf zwölf Bilder, die sowohl die Lebensalter als auch die verschiedenen Stände repräsentierten.
Sein Tod, das übliche Skelett ist bei seiner Arbeit mit einem großen Pfeil versehen, ein Attribut, das interessanterweise eher aus der norddeutschen Tradition stammt, wo Freund Hein gerne als Bogenschütze dargestellt wird, der unbemerkt jeden trifft. Der Freiburger Tod fühlte sich recht heimisch, im Hintergrund waren örtliche Sehenswürdigkeiten in der Landschaft zu erkennen, Burg Zähringen, das Greiffenegg-Schlössle oder die Schwarzwaldberge – ob diese schon beim allerersten Totentanz so zu sehen waren, ist allerdings unklar. Klar dagegen ist, dass der Maler sich wenig Zurückhaltung auferlegte, seinen Totentanz sogar mit einem Schuss makabrem Humor versah, vor allem in den beigefügten lakonischen Spruchzeilen. Er beginnt mit den Lebensaltern, der Säugling wird vom Tod ebenso wenig verschont wie das Schulkind.