REGULA MEILE
VERSCHENKE
DEINE ZEIT
SINNVOLL
DIE KUNST, ZEIT BEWUSST IN DAS ZU
INVESTIEREN, WAS DICH ERFÜLLT
Ratgeber
Ein Buch aus dem FRANZIUS VERLAG
Cover: Simone C. Franzius
Bildlizenzen: shutterstock
Korrektorat: Sigrid Wohlgemuth
Verantwortlich für den Inhalt des Textes
ist die Autorin Regula Meile
Satz, Herstellung und Verlag: Franzius Verlag GmbH
ISBN978-3-96050-235-7 (E-Book)
Alle Rechte liegen bei der Franzius Verlag GmbH
Hogen Kamp 33, 26160 Bad Zwischenahn
Copyright © 2022 Franzius Verlag GmbH
www.franzius-verlag.de
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INHALT
1. Einleitung
2. Das Problem erkennen
Ein Morgen im Leben von Luisa
Wie wir unser Zeit-Problem erschaffen
Keine Zeit zu haben ist eine Lüge
Der Wert der Zeit
Je mehr wir rennen, desto mehr verrennen wir uns
Uns fehlt Ruhe
Wir wollen alles, und zwar sofort
Die Informationsflut überflutet uns
Unser Bedürfnis immer alles kontrollieren zu müssen
Sparsamkeit, die Lieblingsregel aller halblebendigen Menschen
3. Eine mögliche Lösung
(Zeit-)Geschenke machen
Sich selbst Geschenke machen
Anderen Geschenke machen
Geschenke empfangen
Wünsche und Erwartungen
Geschenke, die nicht gefallen
Zeit verschenken im Rahmen deiner Berufung
4. Und jetzt zur Umsetzung
Vom Taubheitszustand in den Lebendigkeitszustand
Den Körper mit einbeziehen & in die Handlung kommen
Zu sich zurückfinden
Die innere Stimme wieder hören
Balance zwischen Energie und Ruhe
Perspektivenwechsel
Werteklärung
Hauptziele und Ausrichtungen
Deine ungeschriebenen Regeln auflockern
Toleranz entwickeln bezüglich offenen To-Dos
Nicht alles kontrollieren müssen
Den Moment auskosten
Das kleine Kind in uns wiederfinden
Entscheidungen fällen
Stolz auf unsere Gaben sein
Umgang mit der Informationsflut
Entspannung durch Langsamkeit
Einfachheit
Genussfähigkeit
Bewusstheit und Achtsamkeit
Dankbarkeit
Neue Gewohnheiten aufbauen
Umgang mit innerer Unruhe
Angst vor Kontrollverlust
Die Sache mit der Disziplin
Umgang mit Unverständnis von anderen
Mit Liebe schenken
Was wenn wir immer wieder in alte Muster hineingeraten?
5. Das Problem erkannt
Über die Autorin
Weitere Ratgeber bei FRANZIUS
In diesem Buch geht es keineswegs darum, Selbstdisziplin zu lernen, damit du noch mehr Ziele gleichzeitig erreichen kannst. Denn, wenn wir aufrichtig sind, können wir erkennen, dass für viele Menschen in unserer westlichen Welt die Selbstdisziplin keineswegs das Hauptproblem darstellt. Das Problem ist vielmehr, dass wir uns zu viele Ziele setzen und das Gefühl haben, alle gleichzeitig erreichen zu müssen. Dass wir vor lauter Zielorientierung die Geschenke des aktuellen Moments nicht mehr wahrnehmen. Dass wir vor lauter Selbstoptimierung vergessen, wofür wir das eigentlich alles tun. Dieses Buch möchte dich vielmehr darin unterstützen, einen Gang zurückzuschalten. Unsere Lebenszeit ist das wertvollste Gut, das wir besitzen. Sie ist ein Geschenk, das wir empfangen haben und welches wir nutzen sollten, indem wir es weiterschenken! Durch unzählige kleine Geschenke an uns selbst und an unsere Mitmenschen! Dazu benötigt man einen achtsamen Umgang mit diesem wertvollen Gut. Wir müssen lernen, unseren Fokus auf das zu lenken, was uns in unserem Leben wirklich wichtig ist, anstatt uns mit alltäglichen Belanglosigkeiten herumzuschlagen und diesen so viel Gewicht zu geben, dass sie unser Leben dominieren. In einer Zeit, in der die Informationsfülle beinahe unendlich ist und unsere Idole und Vorbilder uns suggerieren, dass man alles unter einen Hut bringen und ein perfektes Leben führen kann, ist es oft schwierig, nicht in ein konstantes Gefühl des chronischen Zeitmangels zu geraten. Wir wollen alles, und zwar sofort! Schließlich haben uns die Motivations-Coaches aufgezeigt, dass wir uns nicht damit zufriedengeben sollten, kleine Brötchen zu backen! Wir wollen schließlich erfolgreich sein und unser Leben nach unseren Vorstellungen gestalten. Dazu braucht es nun mal Motivation, Engagement und Investment! Dies mag alles stimmen, doch führt es viele von uns auf einen Pfad der andauernden Rastlosigkeit und des Immer-noch-mehr-Wollens. Wir sind andauernd damit beschäftigt, zehn oder zwanzig Ziele gleichzeitig zu verfolgen und fühlen uns schließlich unter Stress. Schluss damit! Bist du bereit, neue Wege zu gehen? Bist du bereit für einen Perspektivenwechsel? Du musst dazu nicht einmal dein gesamtes Leben auf den Kopf stellen. Außer natürlich, wenn du das möchtest oder sich das mit der Zeit so entwickelt. Aber hauptsächlich geht es in diesem Buch darum, einen anderen Blickwinkel auf die Dinge einzunehmen! Das bedeutet nicht, dass du dich einfach zurücklehnen und dieses Buch lesen kannst, in der Erwartung, dass sich dann alles von allein regeln wird. Eine Veränderung benötigt ein Commitment und das Dranbleiben auch im Alltag. Aus diesem Grund beinhaltet dieses Buch viele Anregungen zur praktischen Umsetzung. Es gibt Übungen, die du in deinem Alltag umsetzen kannst. Immer wieder werde ich dich auffordern, Dinge aufzuschreiben. Ich lade dich ein, dir dazu ein Zeit-Geschenk-Heft oder ein Zeit-Geschenk-Buch mit leeren Seiten zuzulegen. Wähle ein wunderschönes Buch oder gestalte den Einband selbst mit deinen Lieblingsfarben und –motiven! In diesem Buch kannst du neben den Übungen auch all deine Gedanken, Inspirationen und Erkenntnisse festhalten, welche in Zusammenhang mit den Thematiken stehen, welche wir gemeinsam angehen. Und vielleicht magst du es dann für Dinge nutzen, die über all das hinausgehen. Für die Gedanken, wie du dich im Leben ausrichtest, was dich bewegt und inspiriert oder um deine Visionen und positive Affirmationen festzuhalten! Dinge zu verschriftlichen, hilft unserem Gehirn, die notwendige Klarheit zu erlangen. Indem wir etwas schriftlich festhalten, bekommt es automatisch mehr Gewicht, wir erinnern uns eher daran und wir haben einen ersten Schritt in Richtung Handlung getan, indem wir den Stift in die Hand genommen haben. Anders als bei einem Tagebuch befassen wir uns in einem solchen Buch mit unserer Zukunft und legen erste Pfade in die von uns gewählte Richtung an.
Neben den Schreibaufgaben und den Übungen, welche du im Alltag umsetzen kannst, beinhaltet das vorliegende Buch zusätzlich zahlreiche Mini-Meditationen. Das sind imaginative Übungen, die dich darin unterstützen, voll im Moment zu sein und dich auf das auszurichten, was wichtig ist. Außerdem lernst du in diesen Mini-Meditationen beispielsweise, deine Sinne zu schärfen, um den Moment voll auskosten zu können. In solchen stillen Momenten, in welchen wir die Aufmerksamkeit nach innen richten, können wir uns Kompetenzen aneignen, die wir danach im Alltag anwenden können. Außerdem bringen sie dich zu dir selbst zurück, sodass du einen Schritt zurück machen kannst und das größere Ganze siehst, anstatt nur die zuvorderst stehenden, dringlich erscheinenden Aufgaben zu erkennen. Die Mini-Meditationen sollten jeweils ca. fünf Minuten dauern und können überall in deinem Alltag eingebaut werden, in denen du etwas freie Zeit hast und einen einigermaßen ruhigen Ort, im Notfall auch einmal die Toilette am Arbeitsplatz.
Aber halt! Das klingt doch nach noch mehr Aufgaben und somit noch mehr Stress? Ein Buch zu führen, Übungen im Alltag, Mini-Meditationen, was denn sonst noch? Und wann soll man denn die Zeit für das alles aufbringen? Da wären wir wieder bei dem Problem, das dich wahrscheinlich ursprünglich dazu gebracht hat, dieses Buch überhaupt in die Hand zu nehmen! Natürlich ist es bei diesem Buch NICHT so, dass dir irgendwelche Empfehlungen gegeben werden, im Sinne von, »Du solltest das jetzt jeden Tag tun« und »Du wirst nichts erreichen, wenn du nicht fleißig übst« und »Du musst dranbleiben« usw. Klar, die besten Effekte erzielen Leute, die Gelerntes konsequent in die Praxis umsetzen. Aber wie genau du das machst, bleibt dir überlassen. Lass dich dabei einfach vom Lustprinzip steuern! Vielleicht sind ja die beschriebenen Übungen nur Inspirationen für dich und du leitest davon deine eigenen ab. Oder du machst ganz selten etwas davon, es dafür dann aber mit voller Freude und Hingabe. Oder du speicherst zunächst einmal die Informationen in deinem Gehirn ab, das schärft deine Wahrnehmung in deinem Alltag, du beginnst dein Denken anzupassen und plötzlich, erst einige Zeit nach dem Lesen des Buches, kommt das Bedürfnis, die eine oder andere Übung anzuwenden. Alles ist okay. Schenk dir in diesem Moment die Freiheit, nichts zu müssen! Auch wenn du teilweise mit den Formulierungen in diesem Buch zu etwas aufgefordert wirst, hier beginnt bereits die Umsetzung! Mach kein »To-do« daraus! Setze Übungen um, wenn du bemerkst, dass du diese gerne machen möchtest. Wenn du hingegen denkst, dass diese jetzt sinnvoll wären, dich die Umsetzung aber gerade überhaupt nicht reizt, dann ist wohl nicht der Moment dafür. Dann lass sie einfach los und schau, ob dir zu einem späteren Zeitpunkt die Übung wieder in den Sinn kommt und du sie dann in die Tat umsetzen möchtest. Die Art und Weise, wie du die Übungen aus diesem Buch umsetzt, ist somit der erste Schritt dazu, das Konzept in dein Leben zu integrieren. In den nachfolgenden Kapiteln wird bei den Übungen nicht mehr stehen, du sollst diese nur machen, wenn dir danach ist. Nein, du wirst aufgefordert, diese jetzt umzusetzen. Das ist bewusst so formuliert, denn wenn du das Gelernte in deinem Alltag umsetzen möchtest, dann wird es so sein, dass von allen Seiten Menschen versuchen, dich davon zu überzeugen, was du jetzt tun solltest. Und es wird dir oft sehr sinnvoll und erstrebenswert erscheinen und ein Teil von dir wird es unbedingt machen wollen. Dies sind die Situationen, in welchen du dir in Zukunft die Frage stellen solltest, ob es das ist, was du dir oder anderen in dem Moment von ganzem Herzen schenken möchtest, unter Inkaufnahme aller Konsequenzen.
Neben der Achtsamkeit dafür, an wen bzw. was du deine Zeit verschenken möchtest, liegt der Fokus dieses Buches stark darauf, den Akt des Schenkens bewusst auszukosten. Egal wofür du dich in dem Moment entscheidest - das kann zum Beispiel der Abwasch sein - du kannst es voller Hingabe erledigen. Wenn du dich in eine Erfahrung vollständig eingibst, dann gibt es keine verlorene Zeit. Es ist immer eine Frage der Bewertung der Tätigkeit und nicht eine Frage der Tätigkeit an sich. Das Ziel ist also mehr Lebendigkeit, Emotion, Intensität in deinen Alltag zu bringen und jeden Moment in dich einzusaugen, egal ob es nun der »perfekte Moment« ist oder ob da irgendetwas ist, was dir gerade nicht gefällt. Es soll ein Innehalten stattfinden, eine Pause von der Rastlosigkeit, dem ständigen Suchen und dem ständigen Streben nach mehr. So gelingt es, die Geschenke wahrzunehmen, welche unsere Umgebung gerade für uns bereithält und gleichermaßen die Geschenke, die wir in uns tragen.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil beleuchten wir das Problem, beschäftigen uns damit, warum wir denn ständig das Gefühl haben, keine Zeit zu haben. Im zweiten Teil wird der Lösungsansatz des Zeitschenkens vorgestellt. Und im dritten Teil werden konkrete Tipps und Impulse zur Umsetzung gegeben sowie zum Umgang mit Stolpersteinen. Um bereits während des Lesens in die Handlung zu kommen und die Erkenntnisse umzusetzen, enthält jedoch auch der erste Teil des Buches bereits Hinweise und Aufgaben zur Umsetzung des Gelernten! Falls sich dabei Schwierigkeiten zeigen, dann gibt es natürlich immer die Möglichkeit, ein Kapitel aus dem dritten Teil des Buches vorzuziehen, welches genau diese spezifische Schwierigkeit adressiert.
Wie so oft wacht Luisa schon einige Zeit vor dem Klingeln des Weckers auf. Noch halb im Traum, springen ihre Gedanken bereits zu der Präsentation, die sie am Nachmittag halten muss. Ob sie wirklich an alles gedacht hat, was zu besprechen wäre? Aber stopp, eigentlich hat sie sich doch vorgenommen, am Morgen immer als Erstes ihre Ziele zu visualisieren, um sich so bereits auf den Erfolg auszurichten. Also, jetzt nicht herumstudieren, was noch nicht perfekt sein könnte, sondern sich vorstellen, wie sie das Publikum mitreißt und alle an ihren Lippen hängen werden. Allerdings, bei der einen Grafik in der Präsentation könnte man noch einen Kommentar anfügen. Das könnte einen Unterschied machen, damit die Thematik leichter verständlich ist. Ja, das ist eine gute Idee! Ob sie wohl aufstehen sollte, um sich dies zu notieren? Nicht dass sie es am Ende vergisst! Aber nein, eigentlich wollte sie ausgeschlafen sein und wenn sie jetzt aufsteht, dann kann sie nachher sicher nicht mehr einschlafen. Sowieso hat sie sich vorgenommen, acht Stunden jede Nacht zu schlafen. Das schaffte sie schon wieder nicht, weil sie dazu zwanzig Minuten zu spät ins Bett gegangen war. Somit sollte sie nun zumindest noch einige Minuten schlafen. Nicht dass ihre Leistungsfähigkeit darunter leidet! Gerade am heutigen Tag, an dem die Präsentation ansteht. Also, Augen zu und entspannen. Sie sollte den Kopf abstellen. Dieses ganze Gedankenkreisen hält sie vom Schlafen ab. Da kommt ihr in den Sinn, dass sie unbedingt die Laufschuhe bereitlegen sollte. Sonst vergisst sie diese am Schluss zuhause. Und sie hat sich vorgenommen, den Heimweg als Trainingszeit zu nutzen. Ansonsten würde sie die Zeit untätig im Bus verbringen. So kann sie sich fit halten. Denn die Waage zeigt zwei Kilo mehr an als vor einem halben Jahr und die Pölsterchen an Bauch und Oberschenkeln müssen definitiv weg. Und sie kennt sich ja nur zu gut, wenn sie nicht konsequent ist, dann war es das mit den guten Vorsätzen. Da vergisst sie ein einziges Mal die Schuhe und schon hat sie am nächsten Tag eine Ausrede parat. Also, soll sie kurz aufstehen und die Schuhe bereitlegen? Ja, das wäre vielleicht das Beste, sie kann sich ja danach trotzdem noch einmal hinlegen. Luisa steht auf, holt die Laufschuhe aus dem Schrank und legt diese in den Eingangsbereich der Wohnung. Dabei bleibt ihr Blick unweigerlich an der Zwergpalme hängen und sie betrachtet deren Blätter von Nahem, um festzustellen, ob die Schädlinge, die sie entdeckt hatte, tatsächlich alle weg sind, nachdem sie das biologische Schädlingsbekämpfungsmittel angewendet hatte. Die Palme hatte sie gerade erst angeschafft, im Rahmen ihres Projekts, die Wohnung zu begrünen. Und schon machte diese ihr zusätzliche Arbeit. Vielleicht sollte sie auf chemische Waffen zurückgreifen, so als einmalige Sache, obwohl sie eigentlich Giftstoffe aus ihrem Haushalt heraushalten möchte, nachdem sie eine Dokumentation darüber gesehen hatte, wie schädlich diese sein können. Aber da krabbeln noch immer mehrere dieser kleinen Tierchen auf der Pflanze herum! Sie muss sich sofort darum kümmern, sonst vermehren sich diese weiter! Luisa zerdrückt die Tierchen, die sie beim Absuchen der Pflanze erkennen kann, mit den Fingern. Aber was, wenn diese bereits auf andere Pflanzen übergegangen sind? Sie begibt sich ins Wohnzimmer und beginnt, die dortigen Pflanzen zu untersuchen. Wie sich diese Biester wohl vermehren? Könnten Eier an den Pflanzen kleben, die man mit bloßem Auge gar nicht erkennen kann? Piiiep … piiiep … piiiep … Das Klingeln des Weckers holt sie für einen Moment aus ihrer Gedankenwelt.
Reicht es dir? Fühlst du dich bereits genervt, wenn du das liest? Du darfst den Rest dieses Kapitels überspringen, wenn dir nicht mehr danach ist, dich weiter in Luisas Welt zu vertiefen. Wenn du dabeibleiben magst – was ich dir empfehle – dann achte beim Lesen darauf, was es bei dir auslöst. Spürst du eine leicht gereizte Stimmung? Oder einen Druck auf dem Magen? Geht dein Puls in die Höhe? Bekommst du Heißhunger auf Süßigkeiten? Was auch immer bei dir geschieht ist vermutlich das, was auch in deinem Leben oft passiert, nur nehmen wir solche Dinge im Alltag zumeist weniger bewusst wahr, weil wir zu beschäftigt mit Anderem sind. Je genauer wir die entsprechenden Signale jedoch kennen und je bewusster wir sie wahrnehmen, desto eher können wir sie nutzen, als Hinweise darauf, dass wir uns gerade in einer Situation befinden, in welcher es angebracht wäre, sein Denken, Fühlen und Handeln neu auszurichten! Also, hier geht Luisas Morgen weiter:
Ach, nun klingelt bereits der Wecker. Luisa hat also doch wieder zu wenig geschlafen. Sie schafft es einfach nie! Heute muss sie unbedingt früher ins Bett gehen. Am besten speichert sie eine Erinnerung im Mobiltelefon ab, die sie rechtzeitig daran erinnert, dass jetzt Zeit ist, zu Bett zu gehen! Luisa begibt sich in die Küche, um sich das Frühstück zuzubereiten. Während die Kaffeemaschine noch rot blinkt, macht sie schnell die Kräftigungsübung, die sie gestern im Internet gesehen hatte. Diese soll dabei helfen, ein knackiges Hinterteil zu bekommen. Wie war das schon wieder, in welchem Winkel sollten die Knie stehen? Ach, nochmal kurz nachschauen. Sie holt ihr Tablet und sucht nach dem Video. Ah, da ist es. Eine Werbeanzeige wirbt für vegane und zuckerfreie Bio-Rohkostriegel. Wie cool! Luisa klickt auf den Link zur Homepage. Aber eigentlich hat sie jetzt keine Zeit, sich das anzuschauen. Sie kann ja die Internetseite offenlassen und sich später genauer damit befassen. Jetzt wollte sie doch das Video von gestern noch einmal anschauen. Aber unterdessen ist die Kaffee-Maschine bereit und Luisa hat ja nicht alle Zeit der Welt, bis sie das Haus verlassen muss. Also, schnell einen Kaffee laufen lassen und dann den gestern Abend bereits vorbereiteten, fett- und zuckerfreien Frühstücksbrei aus dem Kühlschrank nehmen. Noch kurz einen Apfel waschen, schneiden und die Stücke über den Brei verteilen, fertig ist das Frühstück. Ein Genuss ist das grad nicht. Ach, früher hat sie sich jeweils diese Frühstücksbowls mit Erdnussbutter, Bananen und Kakao-Knusperflocken zubereitet, das war so richtig lecker. Aber sie tut sich ja etwas Gutes mit dem fettfreien Start in den Tag. Vor Kurzem hatte sie ein Video gesehen, dass dadurch sowohl die körperliche als auch die mentale Leistungsfähigkeit gesteigert wird, weil der Körper weniger durch die Fettverdauung belastet wird. Und sie wird den Rest des Tages noch genügend leckere Dinge essen. Luisas Blick fällt aufs Mobiltelefon. Sechzehn neue Nachrichten. Die kann sie kurz durchschauen, während sie in der Küche stehend ihr Frühstück zu sich nimmt. Oh, eine der Nachrichten ist von einer Freundin, die gerade in einer Beziehungskrise steckt. Das kann sie nicht einfach unbeantwortet lassen, die Freundin wäre sicher enttäuscht, wenn sie wüsste, dass Luisa die Nachricht gelesen hat, aber so auf ihr eigenes Leben fokussiert ist, dass sie sich nicht einmal einige Minuten Zeit nehmen kann, um ihr Mitgefühl kundzutun. Sie verfasst kurz einige Zeilen und schickt sie ab. Oh, die Nachrichten von den Kollegen, mit denen sie zum Mittagessen verabredet ist, das kann sie auch nicht ignorieren. Das Restaurant, das sie ausgewählt haben, hat keine freien Plätze und es werden Alternativen gesucht. Mit den bisher vorgeschlagenen Alternativen ist niemand so richtig glücklich. Ach, vor Kurzem hatte sie etwas gehört von einem neuen Restaurant, das sicher allen gefallen würde. Wie blöd, dass sie den Namen des Restaurants vergessen hat. War das nicht die Kollegin in der Yoga-Klasse, die das erwähnt hatte? Sie könnte diese kurz anschreiben und bei ihr nachfragen. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass das schnell gehen muss. Sie schreibt eine kurze Nachricht an die Kollegin und hastet dann ins Badezimmer. Schnell unter die Dusche, die Beine rasieren, die Haare waschen. Autsch, natürlich, wie das immer passiert, wenn sie sich beeilen muss, schneidet sie sich beim Beine rasieren in die Haut. »Was bist du doch für ein Tollpatsch«, flucht sie leise vor sich hin. Aber sie hat jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken, warum ihr das ständig passiert. In Gedanken geht sie noch einmal ihre Präsentation durch, während sie die Haare schamponiert. Wird wohl der Chef aus dem anderen Team dabei sein? Der hatte das letzte Mal so doofe Fragen zur Finanzierung gestellt und sie konnte keine befriedigende Antwort geben. Das gehört nicht zu ihrem Kernbereich. Vielleicht sollte sie sich eine geschickte Antwort überlegen für den Fall, dass er dieses Thema erneut aufbringen sollte. Beim Blick auf die Shampoo-Flasche fällt Luisa ein, dass sie vor Kurzem einen Artikel darüber gelesen hatte, welche Inhaltsstoffe von Shampoos schlecht für die Haut sind. Sie wollte längst schauen, ob ihr Shampoo solche Stoffe enthält. Heute Abend wird sie das endlich einmal tun! Zur Erinnerung legt sie die Flasche ins Waschbecken. Wenn sie diese dort entdeckt, dann wird sie daran denken. So, schnell abtrocknen und anziehen. Soll sie die dunkelblaue Hose anziehen? Beinah hätte sie diese in die Altkleidersammlung gegeben, weil sie diese schon ewig nicht mehr angezogen hatte. Aber dann hat sie ihr doch irgendwie noch gefallen. So tatsächlich Lust, diese anzuziehen, hat sie nicht, aber sie hat mit sich selbst abgemacht, dass sie die Hose auch anziehen muss, wenn sie sie behält. Das wurde im Aufräum-Podcast so empfohlen, um nur noch Dinge zu Hause zu haben, die man wirklich benutzt. Ach, wenn sie den Kleiderschrank ansieht, steht sie ganz am Anfang dieses Prozesses. Ein Gefühl von Stress und Überforderung entsteht bei ihr allein bei dem Gedanken, all diese Kleidungsstücke durchzugehen, um sich von denjenigen zu trennen, die da eher zur Dekoration hängen. Die ganze Zeit, die das kosten wird …! Aber eigentlich, am heutigen Tag, bei der Präsentation, da sollte sie sich so richtig wohl fühlen. Somit doch eher ihre Lieblingshose? Blöd nur, dass die Bluse, die so gut zu der Hose passt, bereits im Wäschekorb liegt. Luisa probiert verschiedene andere Blusen durch. Sie ist mit keiner Option richtig zufrieden. Aber sie muss sich entscheiden, die Zeit rennt ihr davon. Also gut, die weiß gestreifte Bluse und die Lieblingshose. Jetzt noch schnell die Haare föhnen. Währenddessen kann sie sich darüber Gedanken machen, was sie ihrer Schwester zum Geburtstag schenken soll. Der Geburtstag ist in drei Tagen und sie hat noch immer kein Geschenk und in den nächsten Tagen steht so viel auf dem Programm, dass sie kaum dazu kommt, dies zu organisieren. Dabei hat die Schwester ihr zu ihrem Geburtstag so ein tolles Geschenk gemacht, da muss sie sich jetzt unbedingt etwas Originelles ausdenken! Am besten irgendetwas mit Einhorn-Print, daran hätte die Schwester Freude. Aber bei der gestrigen Google-Recherche zu dem Thema hatte Luisa nichts Überzeugendes gefunden. Selbst etwas bedrucken lassen? Dafür ist sie wohl zu spät dran. Selbst etwas gestalten, das wäre natürlich toll, aber es fehlt ihr einfach an der Zeit. Oder ob sie vielleicht das morgige Treffen mit ihrem Freund verschieben könnte? Der wäre enttäuscht, aber er hätte auch Verständnis. Aber sie bräuchte eine zündende Idee, was sie denn genau mit einem Einhorn-Design versehen möchte? Einen Blumentopf? Da könnte sie gleich eine Pflanze mitschenken. Aber ihre Schwester beklagt sich immer darüber, dass die Pflanzen bei ihr nie lange überleben. Die Haare sind unterdessen trocken und Luisa gibt bei Google den Suchbegriff »originelle Geschenkidee« ein. Vielleicht wird sie ja so inspiriert durch eine Idee, die jemand anderes einmal hatte. Sie landet in einem Onlineshop. Auf der Front-Seite erscheint eine Werbung für personalisierte Schokolade. Es gibt sogar einen Rabatt ab einer Bestellung von zwei Stück. Das wäre ein tolles Abschiedsgeschenk für die Arbeitskollegin, welche die Firma verlässt. Luisa klickt auf das Banner, im Hintergedanken ein ungutes Gefühl, weil sie ahnt, dass sie wieder spät dran ist. Also, kurz ein Post-it schreiben und in den Eingangsbereich hängen, sie wird sich abends die Seite noch einmal anschauen. Oje, sie muss jetzt wirklich aus dem Haus und sie ist noch völlig ungeschminkt! Schnell die Schmink-Sachen einpacken, Jacke an, raus aus der Wohnung und die Treppe hinunter rennen in der Hoffnung, den Bus noch zu erwischen. Sich in öffentlichen Transportmitteln zu schminken, ist eher mühsam und unangenehm, aber das ist nicht das erste Mal und wird bald zur Routine.
Du kannst dir sicherlich plastisch vorstellen, wie Luisas Tag ungefähr weiter verläuft. Fühlst du bereits die innere Anspannung allein beim Lesen, wie ihr Morgen verläuft? Erkennst du dich ein bisschen wieder, wenn du das liest? Vielen Menschen ergeht es in der heutigen Zeit ähnlich. Doch in dem Moment, in dem du dieses Buch in der Hand hältst, hast du bereits einen Schritt in die Richtung einer Veränderung gemacht! Wir müssen es nicht einfach hinnehmen, dass das Leben in unserer Gesellschaft so funktioniert! Wir können anfangen, anders zu denken und zu leben! Und einige Menschen um uns herum werden sich von uns inspiriert fühlen und so beginnen wir eine kleine, stille Revolution, die ihre Wellen schlägt. Am Ende dieses Buches kommen wir zurück zu Luisa. Wir schauen uns an, wie derselbe Morgen auch aussehen könnte. Spicken ist erlaubt, wenn du nicht warten möchtest, bis du die Seiten dazwischen gelesen hast, in welchen wir gemeinsam einen neuen Umgang mit Zeit erlernen.
Notiere dir deine Gedanken dazu, wie dein Leben aussehen soll, nachdem du dieses Buch durchgearbeitet hast. Woran und in welchen Situationen wirst du erkennen, dass du einen wichtigen Schritt gemacht hast und das Leben nicht mehr als Wettlauf gegen die Zeit wahrnimmst?
Um dies gleich zu Beginn klarzustellen: Wer in unserer Gesellschaft lebt, wird beinahe automatisch Mit-Erschaffer des Zeit-Problems, das wir alle erleben. Nur wenigen gelingt es, sich dem zu entziehen. Wir wachsen mit dem Gedanken auf, dass Zeit ein knapp bemessenes Gut ist und wir uns deshalb stets anstrengen sollten, um diese nicht zu vergeuden. Dies wird uns von allen Seiten suggeriert und wir werden schon früh im Leben Zeugen davon, wie alle um uns herum im Stress sind und von einem Termin zum anderen hetzen. Das erleben wir als Normalität und es ist somit nicht verwunderlich, dass wir dieses Verhaltensmuster übernehmen, ohne darüber nachzudenken. Natürlich ist unsere Zeit auf der Erde begrenzt und dies sollte uns sehr wohl bewusst sein! Die Schlussfolgerung, dass wir in dem Fall möglichst viel in die uns zur Verfügung stehende Zeit hineinpacken sollten, scheint uns die logische Folge davon. Daher müssen wir stets produktiv sein, wir müssen vorangehen, um unsere Ziele innerhalb effizienter Frist zu erreichen, wir müssen jede freie Minute sinnvoll nutzen und möglichst viel Multitasking betreiben. Das ist etwas viel »müssen«, findest du nicht auch? Ist ein Leben voller »müssen« das, was wir uns gewünscht haben, als wir uns vorgenommen haben, die knapp bemessene Zeit sinnvoll zu nutzen? Wohl kaum! Doch dieses Denken ist so verankert in unserer Gesellschaft, dass es kaum hinterfragt wird. Zwar zeigt die wie Pilze aus dem Boden schießende Anzahl neu entstehender Yoga-Studios auf, dass den Menschen bewusst wird, dass sie - in unserer sich immer schneller drehenden Welt - Ruhepausen benötigen, jedoch wird für viele Besucher der Yoga-Klassen die Yoga-Stunde zu einem weiteren Termin, den sie in ihrer Agenda irgendwie unterbringen müssen und der dazu führt, dass sie dafür umso effizienter beim Erledigen ihrer Alltagsaufgaben sein müssen und weniger Zeit zur Verfügung für andere Verschnauf-Pausen im Alltag haben.
Unsere gesellschaftlichen Werte und Normen sind darauf ausgerichtet, Erfolg zu haben, Leistung zu erbringen und effizient zu sein. Sich Zeit zu lassen, den Moment auszukosten und sich einfach treiben zu lassen, wird akzeptiert, wenn es zu klar umrissenen Zeiträumen in klar definierten Räumen und Situationen stattfindet und ja nicht überhandnimmt! Unsere Idole und Vorbilder leben uns vor, wie das geht und berichten stolz auf Social-Media, im Fernseher und im Zeitungsinterview, wie sie es geschafft haben, Job und Familie unter einen Hut zu bringen und dabei mit regelmäßiger sportlicher Aktivität einen optimalen Lebensstil zu pflegen. Selbstverständlich unter Berücksichtigung der gesunden Ernährung, bei der natürlich so viel als möglich selbst gemacht wird: vom Anbau im Hochbeet über die Kreation eigener Rezepte bis hin zum eigentlichen Kochen. Und dabei wird nebenher die eigene Firma aufgebaut und es werden »Do-it-yourself«-Geschenke gebastelt, es wird auf genügend »Quality-Time« mit der Familie geachtet und darüber hinaus eine gesunde »Work-Life-Balance« eingehalten. Dass man dazu stets perfekt gestylt ist und in einer topmodernen, nach Feng-Shui eingerichteten Wohnung lebt, welche natürlich stets makellos aufgeräumt ist, versteht sich von alleine. Wer das schafft, kann sich der Anerkennung anderer sicher sein. Aber ist das tatsächlich unsere Vorstellung davon, wie wir unser Leben leben möchten, wenn wir mal ganz ehrlich zu uns sind? Klingt das nicht super anstrengend, so perfekt sein zu müssen? Und sollten wir nicht eigentlich eher Leute bewundern, die den Mut haben, einen anderen Weg zu gehen? Und was ist der Grund, weshalb wir so schlecht aus diesem Denken aussteigen können, obwohl wir alle wissen, dass es auf Dauer ungesund ist, wenn man sich selbst unter Druck setzt?
Ein Problem unserer Gesellschaft ist die Tatsache, dass wir unzählige Möglichkeiten haben und uns unzählige Informationen zu allen Möglichkeiten stets auf verschiedensten Kanälen zur Verfügung stehen bzw. wir damit regelrecht überschwemmt werden. Dabei wird vieles so geschickt verpackt, dass sofort ein entsprechender Wunsch in uns geweckt wird, sei es für einen Kochkurs, für die Ferien in der Toskana oder für das Anschauen eines Schmink-Tutorials auf YouTube. Sich den ständigen Verlockungen zu entziehen, ist kaum möglich. Diese lachen uns auf dem Arbeitsweg an, während der Unterhaltung mit Freunden, welche von den neuesten Trends berichten, während der Internetrecherche, bei der gezielt auf uns zugeschnittene Werbung geschaltet wird oder während des Lesens eines Zeitschriftenartikels. Oft wird dabei in uns die Angst geweckt, wir könnten eines Tages auf unser Leben zurückblicken und bemerken, dass wir Dinge verpasst haben, die wir hätten erleben wollen. Wenn wir jetzt nicht diese Weiterbildung besuchen und uns diese neue Technik aneignen und diese neue Trendsportart ausprobieren, dann zieht vielleicht die Chance an uns vorbei und wir werden es nie mehr tun! Schlussendlich geht es um die Endlichkeit des Lebens, mit welcher wir uns nicht auseinandersetzen wollen. Unsere Lebenszeit ist begrenzt und wir können nicht alles tun, erleben und erreichen, was es auf dieser Welt zu erleben gibt. Das möchten wir manchmal nicht so gerne wahrhaben. Genau in dieser Wahrheit liegt aber der Schlüssel zu einer anderen Perspektive. Wenn wir uns mit der Tatsache konfrontieren, dass wir während unserer Zeit auf der Erde nicht alles tun können, dann mag das vielleicht für einen Moment lang schmerzhaft sein. Aber indem wir diesen Schmerz annehmen, anstatt ihn zu negieren und uns vorzumachen, wir könnten tatsächlich ALLES, passiert ein Perspektivenwechsel: Wir bemerken, dass genau deshalb, weil unsere Zeit begrenzt ist, wir uns auf das konzentrieren sollten, was uns wirklich wichtig ist und uns am Herzen liegt. Wir beginnen, uns mit den Fragen auseinanderzusetzen, welche Ziele wir verfolgen möchten und welche Werte wir dabei leben wollen. Wir können den kollektiven Denkfehler unserer Zeit erkennen und bemerken, dass die Beschränktheit der Zeit eigentlich ein Geschenk darstellt. Je rarer etwas ist, desto wertvoller wird es für uns. In einer Welt, in der alles aus Gold ist, würde niemand auf die Idee kommen, Gold als besonders wertvoll anzusehen und besonders achtsam mit Gold umzugehen. Genauso wäre das, wenn uns unbeschränkt viel Zeit zur Verfügung stünde. Diese Erkenntnis kann uns helfen, unser Leben bewusster zu leben und zu gestalten. Wir beginnen zu realisieren, dass das »immer mehr, immer schneller, immer besser« uns davon abhält, zu erkennen, was wir uns aus tiefstem Herzen im Leben wünschen. Wir können beginnen, die Tatsache, dass unser Leben irgendwann enden wird, in unser Denken miteinzubeziehen. Stell dir vor, wie es wäre, wenn du unbeschränkt Zeit hättest und ewig leben würdest. Würdest du nicht in dem Fall den einzelnen Tag weniger wertschätzen, als wenn du weißt, dass es dein letzter sein könnte? Beginnst du nicht dadurch, dass dir das bewusst ist, automatisch den Fokus auf das zu lenken, was in deinem Leben von Relevanz ist? Deine Familie vielleicht? Deine Freunde? Genussmomente? Eigene Projekte und Dinge, die du gerne erschaffen möchtest? Einen positiven Einfluss auf die Welt zu haben und etwas dazu beizutragen, dass sie mehr zu dem wird, was du dir wünschen würdest? Schwächere unterstützen? Kindern etwas beibringen? Sich im Moment verlieren? Aus dem Alltag ausbrechen? Neue Welten entdecken? Tanzen und singen? Die Aufzählung ist endlos und für jeden Menschen sind das andere Dinge, aber den meisten von uns gemeinsam ist, dass wir diese oft vergessen oder hintenanstellen. Wie oft haben wir uns damit unbewusst dafür entschieden, Momente voller Lebensfreude und Lebendigkeit auszulassen? Beginnen wir also jetzt, unser Leben so zu gestalten, dass die Dinge, die uns wichtig sind, ihren Platz in unserem Leben haben! Aber da ploppt in der Regel eine Stimme in unserem Kopf auf, welche ganz viele »ja, aber …« Argumente hat. »Ich würde ja gerne, aber …« Natürlich ist es kein Kinderspiel, aus jahrelang erlernten und gefestigten Verhaltensmustern und einem entsprechenden Leben, das man sich aufgebaut hat, einfach von heute auf morgen auszusteigen. Aber das müssen wir auch nicht! Wir können mit einem winzig kleinen Schritt in die richtige Richtung beginnen und vieles wird sich mit der Zeit von selbst fügen! Wichtig ist der Perspektivenwechsel! Schon alleine durch das neue Denken wird dir im Alltag immer wieder bewusst, wo du kleine Veränderungen vornehmen könntest. Und hast du die Veränderung einmal in Gang gesetzt, dann kommt diese von allein ins Rollen. Und das in deinem eigenen Tempo.
Nimm dir für diese Aufgabe eine halbe Stunde Zeit. Stell dir vor, du bist achtzig Jahre alt und schaust zufrieden auf dein Leben zurück. Was hast du erreicht/erlebt? Worauf bist du stolz? An welche Erlebnisse erinnerst du dich immer wieder gerne zurück? Und wenn du davon ausgehst, dass deine Tage nun gezählt sind: Was möchtest du in den letzten Tagen, Wochen oder Monaten deines Lebens noch tun? Wenn du vielleicht schnell ermüdest und nicht mehr so viel an einem Tag erledigen kannst, worauf möchtest du trotzdem auf keinen Fall verzichten? Und nun schau dir die Antworten auf diese Fragen an und überleg dir, inwiefern die von dir notierten Dinge aktuell Platz in deinem Leben finden, inwiefern sie Priorität haben. Und wo du ihnen vielleicht etwas mehr Raum verschaffen könntest.
Oftmals sind wir gedanklich damit beschäftigt, welche Ziele wir als nächstes anpacken wollen. Ziele zu haben und uns auf diese auszurichten, ist etwas sehr Wichtiges! Aber wenn wir stets in Gedanken beim nächsten Ziel sind, dann verpassen wir es, die bereits erreichten Ziele zu feiern, uns über Zwischenschritte zu freuen und das zu genießen, was wir haben. Ein Fußballer in der 5. Liga hat das Ziel, in die 4. Liga aufzusteigen. Hat er das geschafft und befindet sich in der 4. Liga, dann beginnt er sich mit den anderen Fußballern in der 4. Liga zu vergleichen, die noch etwas besser sind als er und setzt sich zum Ziel, so gut zu werden, wie diese. Hat er dies erreicht, so setzt er sich zum Ziel, in die 3. Liga aufzusteigen. So geht es immer weiter. Irgendwann ist er in der 1. Liga und trotzdem noch immer darauf fokussiert, was er in Zukunft erreichen möchte. Bei einem Aufstieg in eine höhere Liga mag es so sein, dass zumindest der Moment des Aufstiegs gefeiert wird. Viel schwieriger ist es, wenn es sich um unklar umrissene Ziele handelt. Ich möchte besser Salsa tanzen können zum Beispiel. Wenn ich fleißig übe, dann werde ich stets besser, doch oft erkennen wir das kaum an, weil der Fortschritt schleichend eintritt. Und irgendwann sind wir dann auf ein anderes Ziel fokussiert, zum Beispiel darauf, besser Walzer tanzen zu können. Und die Fortschritte beim Salsa tanzen werden nie richtig wahrgenommen und gefeiert. Wenn also der Moment, in dem wir ein Ziel erreicht haben, nur einen kurzen Glücksmoment darstellt oder wir das Erreichen des Ziels möglicherweise nicht einmal bewusst wahrnehmen und würdigen, sollten wir uns nicht vielmehr darauf konzentrieren, den Prozess des Zielverfolgens an sich zu genießen, anstatt immer auf das Endziel fokussiert zu sein? Könnten wir uns nicht etwas mehr Zeit mit der Zielerreichung lassen und die kleinen Erfolge deutlich mehr feiern? Ist es unbedingt notwendig, im nächsten halben Jahr viele Fortschritte beim Salsa tanzen zu machen oder ist es nicht völlig egal, wie lange es dauert? Selbst wenn die Freunde im Tanzkurs schnellere Fortschritte machen und man diese aufholen könnte, wenn man zusätzliche Privatstunden nehmen würde, kommt es nicht eigentlich darauf an, das Tanzen zu genießen und sich über die eigenen Fortschritte zu freuen? Ist es nicht eigentlich nebensächlich, ob man in einem halben Jahr oder in einem Jahr so viele Fortschritte gemacht hat, dass nun plötzlich das nächste Ziel, also besser Walzer zu tanzen, im Fokus steht? Mal abgesehen davon, dass wir einen großen Teil des Genusses verpassen, wenn wir uns darauf fokussieren, uns mit anderen zu vergleichen, uns dafür zu kritisieren, was noch nicht perfekt ist und uns zu fragen, was wir zusätzlich unternehmen könnten, um unsere Schwachstellen auszubessern. Es ist also einmal mehr eine Frage der Perspektive. Die Redewendung »der Weg ist das Ziel« mag abgelutscht klingen, aber tatsächlich steckt viel Weisheit in dieser Aussage. Oft leben wir überhaupt nicht nach dieser Redewendung. Es geht um das spektakuläre Selfie auf dem Berggipfel und nicht darum, die Aussicht, die Natur und die körperliche Betätigung während des Aufstiegs zu genießen. Oder es geht darum, im Lebenslauf erwähnen zu können, dass man einmal im Ausland gearbeitet hat und nicht darum, ein neues Land kennenzulernen. Oder es ist wichtig, von den Gästen für das perfekte Menü gelobt zu werden und nicht, Freude zu haben an dem Einkaufen und Zubereiten der Speisen. Und kaum ist das Ziel erreicht, sind wir in Gedanken beim nächsten Ziel. Damit halten wir uns selbst davon ab, unser Leben und die Erfahrungen, die wir machen, bewusst zu erfahren, zu genießen und auszukosten! Stattdessen sollten wir den Gedanken präsent halten, dass wir in unserem Leben nie am Ziel sein werden! Es wird immer neue Ziele geben und das ist auch gut so! Wir können lernen, Erfüllung darin zu finden, dass wir auf dem Weg zum Ziel viele schöne, spannende und lehrreiche Erfahrungen machen können. Wir können uns zunehmend mehr darüber definieren, wie wir das Erreichen von Zielen angehen, anstatt darüber, wie viele Ziele wir innerhalb von kurzer Zeit erreichen können. Und irgendwann gelangen wir auf diesem Weg vielleicht an den Punkt, an dem wir uns überhaupt nicht mehr über das Erreichen von Zielen definieren, sondern darüber, dass wir einfach sind.
Nimm dir einen Moment Zeit und setze dich bequem hin. Stell dir vor, dass in diesem Moment die Zeit stillsteht. Dass die Welt sich in diesem Moment nicht weiterdreht und das ganze Karussell, in dem wir uns befinden, zum Stillstand kommt. Es gibt nichts, was du in diesem Moment erledigen kannst oder sollst und nichts, worüber du dir Gedanken machen musst. Nur das, was gerade ist. Nimm einen tiefen Atemzug. Vielleicht kommen Gedanken oder Gefühle hoch oder Körperwahrnehmungen machen sich bemerkbar. Nimm das entgegen, ohne etwas daran ändern zu wollen, aber auch, ohne dem zu viel Beachtung zu schenken. Es kann sein, dass du nervös wirst, dass eine innere Stimme fragt, was das eigentlich soll, ob du diese Zeit nicht besser nutzen könntest. Auch das ist okay, nimm die Erfahrung einfach entgegen. Mit der Zeit, wenn du diese Übung regelmäßig machst oder du sonstige Empfehlungen aus diesem Buch umsetzt, wird die Stimme leiser werden. Bis dahin führt sie dir vor Augen, wie stark du dich selbst anpeitschst. Es kann auch sein, dass es dich traurig macht, wenn du das feststellst. Auch das ist okay und kann Teil eines Veränderungsprozesses sein. Lass es einfach zu und entspanne dich in die Erfahrung hinein. Was auch immer sich in dem Moment zeigen möchte, ist genau das Richtige, ist genau das, was dich auf deinem Weg einen Schritt weiterbringen wird!
»Ich habe keine Zeit« ist die wohl verbreitetste Lüge in unserer Gesellschaft. Wir benutzen diese als Ausrede, wenn wir zum Beispiel auf eine Verabredung keine Lust haben. Aber wir benutzen sie auch ständig, um uns selbst anzulügen und uns in unserer kleinen, sicheren Welt festzuhalten, für die wir tausende von Regeln festgelegt haben und in der wir so beschäftigt sind, dass wir auch sicher nie Zeit haben, dort hinzuschauen, wo es unangenehm werden könnte. Und am Ende ist die Aussage »ich habe keine Zeit« auch schlichtweg falsch. Wir haben ein ganzes Leben lang Zeit. Die Frage ist nur, wofür wir diese Zeit investieren wollen. Unser Leben ist so aufgebaut, dass wir ganz viele Dinge »müssen«. Doch eigentlich handelt es sich dabei größtenteils um Entscheidungen, die wir einmal selbst gefällt haben oder um Regeln, die wir selbst für uns aufgestellt haben. Vermutlich zu einem großen Teil unbewusst. Doch wir haben jederzeit die Möglichkeit, diese bewusst zu überdenken. Klar, gewisse Dinge lassen sich nicht so einfach oder auch gar nicht mehr ändern. Zum Beispiel wenn du die Entscheidung getroffen hast, Kinder zu bekommen, dann sind diese Kinder irgendwann da und können nicht mehr »rückgängig gemacht« werden. Aber als extremes Beispiel zur Veranschaulichung und ohne, dass dir das dieses Buch auf irgendeine Art und Weise nahelegen möchte – du könntest dich theoretisch dazu entscheiden, die Kinder wegzugeben. Oder du kannst dich dazu entscheiden, die Kinder für einen Teil der Woche fremdbetreuen zu lassen. Oder für einige Stunden. Oder gar nicht. Es ist deine Entscheidung. Vielleicht hast du solche Entscheidungen bisher unbewusst getroffen. Aber du hast jederzeit die Möglichkeit, diese noch einmal zu überdenken und dich neu bewusst für etwas zu entscheiden. Jede Entscheidung hat ihre Vor- und Nachteile, aber wir werden von niemandem gezwungen, uns auf eine bestimmte Art und Weise zu entscheiden. Auch nicht von den Menschen, die uns kritisieren würden. Die Frage, ob wir diese Kritik in Kauf nehmen wollen oder nicht, ist ein Teil unserer bewussten Entscheidung. »Aber ich muss doch Geld verdienen, um ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen zu haben und dafür muss ich einen Job ausüben, der mir keine Freude bereitet, denn ich wüsste nicht, wie ich einen Job finden sollte, der mir wirklich Spaß macht«, wirst du vielleicht entgegnen. Zugegeben, bei gewissen Grundbedürfnissen stößt diese Art, die Welt zu betrachten, an ihre Grenzen. Aber selbst hier handelt es sich zu einem gewissen Teil um Entscheidungen: Du könntest dich auch entscheiden, in Askese zu leben, eine Hütte im Wald zu bewohnen, dich von Beeren, Nüssen und Pilzen zu ernähren, ein Aussteiger-Leben zu führen, Selbstversorger zu werden und selbst Gemüse anzubauen und Tiere zu halten, dich zu informieren, wie man von Lebensmitteln leben kann, die sonst weggeworfen würden oder wo es Möglichkeiten gibt, bei jemandem Kost und Logis dafür zu erhalten, dass du dich an den anfallenden Arbeiten beteiligst. Für die allermeisten Menschen sind das zu radikale Schritte. Wir schätzen den Lebensstandard, den wir uns erarbeitet haben und die Möglichkeiten, die uns unsere Gesellschaft bietet. Damit entscheiden wir uns eben auch dafür, gewisse störende Eigenschaften dieser Gesellschaft zu akzeptieren. Aber ein großer Teil der Dinge, die uns die Gesellschaft »diktiert«, übernehmen wir einfach ungefragt und eigentlich könnten wir unseren Platz in der Gesellschaft finden, obwohl wir in gewissen Bereichen nicht nach deren Regeln und Normen leben. Du glaubst, dass du deinen Job nicht kündigen kannst, weil du keinen besseren findest? Auch hier kannst du eine bewusste Entscheidung treffen, anstatt dich der Situation ausgeliefert zu fühlen! Möchtest du den nervigen Chef, die ungünstigen Arbeitsstunden und die langweilige Tätigkeit dafür in Kauf nehmen, dass du ein gutes, gesichertes Einkommen hast und dich nicht mit unzähligen Bewerbungen, Job-Interviews und Absagen herumschlagen musst? Oder entscheidest du dich dafür, deine Zeit nicht länger in einem Arbeitsverhältnis verbringen zu wollen, indem du nicht glücklich bist und verpflichtest dich somit selbst, alles in deiner Macht Stehende zu tun, um das zu ändern? Täglich die Stelleninserate durchschauen, Bewerbungen schreiben, Kontakte zu Personen suchen, welche möglicherweise wichtige Informationen über Job-Möglichkeiten haben könnten, Internetrecherchen zu möglichen Weiterbildungen, welche hilfreich sein könnten, Ideen entwickeln, wie man mit der Bewerbung und beim Vorstellungsgespräch aus der Masse herausstechen könnte, ein Vorstellungsgespräch mit einem Freund simulieren und diesen um Feedback bitten, was man besser machen könnte, spontan auf Firmenchefs zugehen und diese nach Möglichkeiten in ihrem Unternehmen fragen, Ideen entwickeln, welche Möglichkeiten für Quereinsteiger es eventuell gibt usw. Wenn du bewusst die Entscheidung getroffen hast, nicht aufzugeben, bis du eine neue Stelle gefunden hast, welche dir besser gefällt und du bereit bist, dafür deine Zeit zu investieren, dann werden dir viele weitere Möglichkeiten und Ideen in den Sinn kommen! Deine Entschlossenheit wird dich früher oder später ans Ziel bringen.
dank